Karneval

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Barranquilla

Die viertgrößte kolumbianische Metropole mi 1,6 Mio Einwohnern, wird im Volksmund silbenverdreht zwar auch „die Schöne“  genannt, ist in Wahrheit aber keine Schönheit. Es ist anscheinend die Lebenslust der Menschen, die nur die Gegenwart kennt, die den Reiz der Stadt auszumachen scheint. Jedermann, so wie eigentlich überall in Kolumbien, ist überaus hilfsbereit und freundlich. Wieder verspüren wir nirgends Angst oder Sorge, wenngleich uns immer wieder Menschen daran erinnern, auf unser Hab und Gut aufzupassen. Daneben ist diese Stadt staubig, ja dreckig, bald überschäumend desolat und heruntergekommen. Eine eigenartige Mischung, die den biederen Mitteleuropäer durchaus an seine Grenzen bringt – auch uns ein bisschen. Das Zentrum würde man grundsätzlich meiden, wäre da nicht der Karneval, den wir uns nicht entgehen lassen wollten. Dies ist aber verbindlich der einzige Grund für einen Besuch von Barranquilla.

Eigentlich reisen wir fast einen Tag zu früh an. Unser Hotel ist scheußlich, was uns booking.com leider nicht verraten hat und es gibt nichts zu tun oder anzuschauen. Also verbringen wir den Vortag zum Karneval eher mit Warten. Eines jedoch ist spürbar, wenn man durch die staubigen Straßen der Stadt wandert, irgendwie liegt eine gewisse Nervosität in der Luft, so als ob jeder auf den großen Start des Karnevals am nächsten Tag warten würde. Wirklich Viele sind schon jetzt verkleidet, zumindest ein bunter Hut, ein buntes Hemd oder Ähnliches muss es schon sein.  Alles wartet auf morgen.

Es fällt uns wieder mal nicht ganz leicht herauszufinden, wie wir es am besten anstellen sollen, einen guten Platz bei der Parade am nächsten Tag zu ergattern. Irgendwie haben wir Glück. Wir fahren mit dem Taxi ganz an den Beginn der 4km langen Parademeile, kämpfen uns zwischen unzähligen Menschen nach vorne an die Absperrung und ganz plötzlich waren wir drinnen – was wie wir erst später bemerken Vielen nicht mehr gelungen ist. Wir überlegen uns einen Tribünenplatz zu kaufen, doch eine kolumbianische Familie meint, wir sollten einfach mit ihnen hier im Schatten stehen bleiben, quasi vor der Tribüne, auf der Promenadenstraße selbst. Besseres hätte uns nicht passieren können – wir sind mittendrin und voll dabei.

Pünktlich um 13.00 Uhr beginnt das Spektakel. Fliegende Händler bringen andauernd Bier, Wasser und Essen vorbei, und die Kolumbianer gehen damit nicht sparsam um.  Der Lärm ist ohrenbetäubend, das Treiben wird immer bunter und die Menge klatscht und wippt zu Salsa- und Merengueklängen. Riesige Trucks, einer aufwendiger geschmückt als der nächste, rollen an uns vorbei, Anzahl und Größe der Lautsprecherboxen konkurrieren mit jedem Großkonzert, hinten dran ein 30 KVA Generator denn die Lichtmaschine wäre hoffnungslos überlastet, die Kostüme sind von skurril bis beeindruckend. Unzählige Gruppen, von den Kleinsten bis zu Teilnehmern deutlich älter als wir, ziehen in Maskerade an uns vorbei. Die Kleinsten werden von Betreuern mobil mit Wasser versorgt indem aus einer großen Spritze von Mund zu Mund gegangen wird. Schaum aus riesigen Druckflaschen wird  versprüht – man muss mit der Kamera auf der Hut sein. Irgendwann merke ich, dass ich ein Gefühl von Muskelkrampf in meiner Wangenmuskulatur empfinde, weil ich dann bereits über eine Stunde meine hochgezogenen Mundwinkel nicht mehr locker gelassen hatte. Wir sind wirklich sehr beeindruckt. Alle per se keine Faschingfans, aber das hier ist etwas anderes. Es ist pure Freude, es gehört zum Leben dieser Menschen wie für uns am Land der Frühschoppen. Es ist nicht gespielt, der Spaß daran ist echt – das sieht und spürt man. Wieder mal mangelt es uns am Spanischen, aber diese Familie, mit ihren zwei großen Jungs, mit Tante, Onkel usw., die uns immer wieder was zu erklären versuchen, lässt uns ganz natürlich daran teilhaben, wie sie dieses Spektakel genießen. Ein wirklich schönes Erlebnis.

Der nächste Tag präsentiert sich ein bisschen wie ein typischer „Tag danach“. Einige verlorene Faschingsseelen liegen am Straßenrand oder sitzen apathisch in einer Ecke. So Mancher/e konnte wohl die Grenze des Zumutbaren nicht rechtzeitig erkennen. Aber wahrscheinlich tritt bis zum Nachmittag bereits wieder Besserung ein und man kann munter weiterfeiern. Wir lassen`s bleiben und reisen weiter.