Indien - um und in uns
Neben märchenhaften Städten besuchen wir auch immer wieder die Dörfer der Umgebung und dazwischen fahren wir einfach quer durch Radjhastan. Indien ist groß, so unglaublich vielfältig, überrascht immer wieder aufs Neue. Eine perfekt ausgebaute Straße, vor uns eine staubige Stadt mit ungewöhnlich vielen großen und luxuriösen Hotels und auch weitere werden noch gebaut. Man fragt sich wozu in dieser scheinbar trostlosen Gegend. Unser Fahrer klärt uns auf - ein bedeutender Hindutempel ist hier. Somit wird alles klar, tröstlicher könnte es nicht sein - hierher zu pilgern um Vishnu seine Ehre zu erweisen, dafür sind gläubigen Hindus keine Mittel zu groß.
Wir fahren weiter auf diesem Streifen nagelneuem Asphalts, zu unserer Linken wie Rechten km-lang nur feinst geschliffene Marmorplatten, unzählige Marble-Factories, und im Dunst der Umgebung lassen sich die Abbaugebiete ausmachen. Marmor symbolisiert Wohlstand, und den gibt es zweifelslos - für einige wenige jedenfalls. Immer wieder tauchen protzige Privatdomizile aus dem Nichts auf. Doch die Bilder vor unseren Augen laufen schnell, ungeachtet der Fülle an Informationen die unsere Gehirne erreichen und manchmal überfordern. Doch manches bleibt immer gleich in diesem Land: Kühe auf den Straßen und die wunderschönen Farben der Sarees - ein bisschen sieht es immer so aus, als ob die Frauen in ihren bunten Gewändern schweben würden.
Und mit demselben Atemzug inhalieren wir auch die allgegenwärtige Armut. "please madam, 10 rupies... 5 rupies " - das sind 15,-- Cent - eigentlich nichts, und vielleicht beruhigt es das Gewissen, Indien rettet man damit sicher nicht. Muss man auch gar nicht - Indien hat in vielerlei Hinsicht ausreichend Potential, das aber leider im Korruptionssumpf versickert. Wir reisen großteils durch das Indien all jener, die nicht zu den Nutznießern dieses Morastes zählen. Wir reisen durch die Dörfer Radjhastans.
In den Dörfern begegnet einem das eigentliche Indien, sehr einfaches Leben - Landwirtschaft und Handwerker, fast alles wird per Hand erledigt oder mit ganz einfachen Maschinen. Die Armut ist allgegenwärtig, der Schmutz auch. Und dennoch befremdet es einen am Land nicht so sehr wie in den Städten - es ist nicht ganz so laut, keine Menschenmassen, die fast bedrohlich wirken können, die Luft erscheint eher für unser Lungen geeignet, die Kontraste nicht so stark, alles vielleicht ein bisschen erträglicher. Wenngleich wir uns alle drei immer mehr nach Ruhe und Sauberkeit sehnen - wohl ganz normal nach 20 Tagen Indien. Das ist das Los des Individualreisenden, dass er losgelöst von seiner Komfortzone all diese neuen und fremden Eindrücke zwar genussvoll aufsaugt, sich aber dennoch nach einiger Zeit nach eben dieser behaglichen Welt, die ihn sonst umgibt, sehnt. Zumindest für ein paar Stunden.
Und doch haben wir uns gut in dieses Indien eingefunden - in dieses Land von dem man behauptet: man kann es nur lieben oder hassen. Wir ernähren uns zu 95 % vegetarisch - weil es meist auch gar nichts anderes gibt - Kurt ist schon fast zum Teetrinker geworden und Christian übt sich täglich in Gelassenheit. Ich denke, wir haben es liebgewonnen, diese Indien.
Kurt und ich, wir sind immer wieder in unsere Tagebücher vertieft, denen man so alles anvertraut, was einen beschäftigt - Erlebtes wie auch die vielen Gedanken, die einem unweigerlich in der Fremde kommen. Christian lebt und erlebt in seinen Bildern. Immer ist unsere Reise ein Stück Gemeinsamkeit und auch Einsamkeit - die ganz persönliche Freiheit im Kopf. Und so ziehen Städte, Dörfer, Tempel, Festungen und Menschen an uns vorbei und auch durch uns hindurch und hinterlassen ihre Spuren.