Koh Lipe - das verlorene Paradies
Wir sind immer noch in der Straße von Malakka, am Rand des Tarutao NP, nur das Eiland ist ein anderes: Koh Lipe. Die Landmasse unter unseren Füßen ist an ihren Maximalstellen gerade mal 2,5 km breit und 2 km lang. Es lässt sich also rasch Überblick verschaffen. Ursprünglich von einer Gruppe malaiisch sprechender Seezigeuner, den Chao Leh, besiedelt, zeigt sich uns ein mehr als abstruses Bild. Christian war vor 22 Jahren das erste Mal hier, wir gemeinsam vor ca. 12 und dann wieder vor 10 Jahren. Welch eine Veränderung, ja welch eine Verschlechterung – beschönigen lässt sich hier nichts mehr. Koh Lipe, als Teil des Adang-Rawi-Archipels, war eine der absolut schönsten Inseln Thailands, mit einem Korallenriff vom Feinsten. Doch was hat man nur daraus gemacht! Absehbar war es schon in den Jahren zuvor, sicher. Man beschwört aber einfach zu gerne das Gute, es wird schon nicht so schlimm werden, flüstert einem zaghaft der Optimist. Aber leider ist es noch viel schlimmer geworden. Die krakenhaften Arme des Massentourismus von der übelsten Sorte haben sich der Insel bemächtigt, und ließen keine Zweifel daran, wer hier als Sieger hervorgeht. Wobei…. es scheint mir mehr einem Pyrrhussieg zu gleichen. Teuer erkaufter Erfolg – die Schönheit dieser Insel liegt ausgeweidet wie ein Tier als Opfer danieder. Und ich wage zu bezweifeln, ob jene, die zum Zeitpunkt noch dem schnöden Mammon frönen, am Ende wirklich noch von einem Sieg sprechen werden. Die Insel ist nämlich schier kaputt gemacht worden.
Gab es anfangs nur einige Resorts, eine Walkingstreet, viele Restaurants, ein noch wirklich nettes Partyfeeling, dörfliches Leben im Inselinneren und die besagten Traumstrände, so hat man mittlerweile diese kleine Insel quasi zugebaut, nicht mit einem Dorf, sondern mit einer Stadt. Die Küstenstreifen wurden so weit mit Hütten und Anlagen zugepflastert, dass vom Strand nur noch ein vernichtend schmales Band übrig blieb. An diesem flanieren Touristenmassen nur eine Nasenlänge von der Terrasse der Seafrontbungalows entfernt. Ich würde mich schön bedanken, hätte ich diesen gebucht. Andere Hütten wieder reichen weit ins Hinterland hinein, kein Raum dazwischen, wo die Natur noch atmen könnte. Dort, wo es noch Strand gibt, steht eine Armada von Longtailbooten, die je nach Besucheraufkommen mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm losbrausen. Idylle war gestern, nein , vorgestern. Es gibt nur einen noch verbliebenen Abschnitt im Nordosten, der 2-3 Anlagen in relativer Abgeschiedenheit ermöglicht. Wir preisen somit allabendlich die kurze Wegstrecke zu den Restaurants, die Vielen gottseidank „zu lange“ ist und genießen den verbliebenen Rest von Ruhe. Wie gesagt, wir haben es geahnt, es uns aber nicht so schlimm vorgestellt. Und dieses Jahr erschien uns Koh Lipe aufgrund der Coronasituation und der reduzierten Gästelage, wider besseren Wissens halt, einen Versuch wert. Unsere Unterkunft (eine von den für uns einzig möglichen dreien!) ist sehr akzeptabel und die Gastgeber sind außerordentlich bemüht. Das macht Vieles wett.
Aber das ist auch mehr als notwendig. Wenn man über die Insel geht erschlagen einen der Dreck und all die Bauruinen, die schon entstanden sind, bevor sie überhaupt ihre Blüte erreichen konnten. Während der Coronazeit geschlossene Anlagen verfallen vor sich her. Holz wird morsch, Plastik zerbröselt unter der Sonne, Brandung und Wind holen sich, was der Mensch nicht mehr zusammenhält. Auch der Gestank, der sich logischer Weise in all dem Unrat Raum verschafft, lässt sich nicht wegfiltern. Wenn ich ehrlich bin, gleicht Koh Lipe einer riesigen Müllhalde mit wirklich wenigen verbliebenen Inseln ohne Dreck. Die Frechheit schlechthin erschließt sich spätestens dann, wenn man bei Ankunft zur Entrichtung einer NP-Gebühr mitsamt Umweltabgabe verpflichtet wird! Das schlägt dem Fass dann echt den Boden aus! Aber da kennt man das Ausmaß der „Vernichtung“ halt noch nicht. Viele Anlagen werden ohne Genehmigung gebaut, in der Hoffnung, bis zu Verfahrensbeendigung noch so viel Kohle abzustauben, dass am Ende noch ein Gewinn übrigbleibt. Die Chao Leh haben ihr Land quasi verkauft und die Geldgeber vom Festland wüten als Bauherren schlimmer als eine Horde Heuschrecken, hinterlassen Verschandelung, Chaos und Verfall. Ohne jegliches Gesamtkonzept kann eine so große Baudichte hinsichtlich Müll- und Abwasserentsorgung einfach nicht funktionieren. Eigentlich möchte man am ersten Tag wieder abreisen. Aber zugegeben, auch wir haben nicht gleich aufgegeben. Es kann doch gar nicht sein, dass man nicht auch hier noch schöne Flecken findet. Immer noch zieht es ja Urlaubermassen hierher und dafür muss es doch Gründe geben?? Den Einheimischen scheint der Dreck größtenteils egal zu sein, den kurzfristigen Profiteuren ebenfalls und der dumme Tourist lässt sich blenden. Oder eben auch nicht.
Es ist wirklich schwer in Worte zu kleiden, was sich hier abspielt. So viel Schönheit, die unter all diesen Bausünden zur Fratze entstellt wurde. Es ist nicht leicht, die Wahrnehmung noch auf das Schöne zu richten. Aber JA, das gibt es schon, vereinzelt und ganz im Verborgenen, fast versteckt – man muss es suchen. Beinahe unbemerkt, irgendwo weit draußen am Horizont oder unter Wasser finden wir noch das, was Lipe einst ausgemacht hat. Dort zieht es uns dann hin … bei einem Bootsausflug oder bei Sonnenuntergang mit dem Blick weit in die Ferne gerichtet….