Der Duft vom Paradies

 

Mein Tagebuch zeigt Tag 13 und das heißt bereits Tag 10 auf der Insel. Schon ziemlich weit weg von zu Hause und von allem, was man für gewöhnlich als Alltag bezeichnet. Schwüle 33 Grad, anstatt kaltem Nebelgrauen, eine überbordende Natur rund um mein Domizil und azurblaues Meer vor mir. Unsere Fotos zeigen das, was unsere Freunde zu Hause als „das Paradies“ bezeichnen. Stimmt ja auch irgendwie. Ich, die ich das Privileg genieße, mindestens das halbe Jahr über aus dem Alltag zu Hause aussteigen zu dürfen, habe für mich schon längst mehrere Paradiese definiert. Jene zu Hause – inmitten der liebgewonnenen Vertrautheit zwischen Familie und Freunden und jene Paradiese fern der Heimat, die mir einfach das „Andere“ aufzeigen, so wie auch hier auf Koh Boulon.

Es ist für mich mehr jenes Paradies „hinter der Fototapete“, wie ich festgestellt habe - das „der Stille und Leere“. Die Dinge bekommen mit Zunahme der Verweildauer etwas Meditatives. Nicht das „Wollen und Müssen“ stehen so wie noch zu Beginn im Vordergrund, sondern das „Sein-Lassen“ gewinnt an Kraft. Aber dieses paradiesische  Lebensgefühl zu inhalieren, gelingt eben nicht immer gleich.

Zweifelsohne ist alles immer da, die Welt ist wie sie ist, das Hässliche ist ohnedies sichtbar, das Wundervolle aber ist ebenfalls immer da. Man muss es nur sehen und dann einsaugen wie den betörenden Duft von Weihnachtskeksen, wenn man gerade das Backrohr geöffnet hat. So wie dieser Duft alle Neuronen in unserem Hirn kitzelt, die von einer besonderen Zeit erzählen, von funkelnden Lichterketten, von leuchtenden Kinderaugen (und ebensolchen Erwachsenenaugen), von Geschenken, von Schneemännern, die glitzern, von freien Tagen und gutem Essen. Eben so kitzeln unsere Fotos vom Inselparadies vielleicht all jene Neuronen in den Gehirnen der Betrachter, die uns wohlige Wärme spüren lassen, das Salz auf unserer Haut und die Süße einer reifen Ananas schmecken lassen. Nervenenden, die von Dschungelgeräuschen erzählen, von bunten Vögeln, lauschigen Abenden bis spät in die Nacht, von einem spannenden Buch im Schatten unter einer Palme, vom Losgelöst-Sein von Alltagssorgen, vom easy going und die manchem Betrachter vielleicht auch von der großen Leere erzählen. Und JA, ich kann`s bestätigen, so ist es hier – paradiesisch in genau diesem Sinne und wir sind bereits voll in diese Phase eingetreten.

Ich durfte diese Metamorphose ja schon öfter erleben. Und vielleicht liegt es eben daran, weil mir das alles nicht fremd ist, also schon einen Hauch von Alltag abbekommen hat, dass ich ein paar Tage länger gebraucht habe, um diesen Duft des Paradieses auch wirklich inhalieren zu können. Aber spätestens ab, na sagen wir mal Tag 4, ist es mir gelungen und dieses Gefühl hat sich wie eine flauschige Decke über mein Nervensystem gelegt und mich eingewickelt. Ich möchte nicht mein ganzes Leben in diesem sogenannten Paradies verweilen, kehre lieber immer wieder als Gast hierher zurück. Niemand möchte schließlich jeden Tag Weihnachtskekse essen, eine schreckliche Vorstellung! Doch auf Weihnachten zu verzichten, ist eine eben solche. Also genieße ich diese Tage hier nun in vollen Zügen. Wenn das „tun müssen“ in den Hintergrund tritt, wird alles etwas langsamer. Die Bewegungen auf jeden Fall und vielleicht auch das Denken. Das Gehirn sucht sich nicht mehr mit derselben Vehemenz eine Aufgabe, ein Ziel. Es begnügt sich auch kurze Zeit mal mit bloßem Schauen oder Fließen lassen.

Ja, wir sind also irgendwo angekommen, wo noch die Natur das Sagen hat und Regeln vorgibt, nicht mehr nur der Mensch alleine. Und so ist und bleibt unsere Trauminsel Koh Boulon Leh, an der Westküste Thailands für uns ein wahrlich kleines Paradies.