Wir trauen uns nun doch -

Der Süden

 Ja, so rasch wie sich politische Situationen ändern können, so rasch ändern auch wir unsere Pläne. Vor zwei Wochen waren wir noch fest entschlossen, den Süden weg zu lassen. Jetzt, nachdem wir mit mehreren Leuten gesprochen haben, sind wir überzeugt, kein Risiko einzugehen, wenn wir es doch machen. Putin hat eine langfristige Waffenruhe mit Erdogan ausgehandelt, Trump verkauft dasselbe als seinen persönlichen Erfolg und was wirklich dahinter steckt, wissen wir trotzdem nicht. Auch wir haben die Reporter im Fernsehen mit schusssicheren Westen an der türkisch-syrischen Grenze stehen gesehen. Aber all das scheint schon wieder Vergangenheit zu sein. Wir fahren ca. 20 km am ehemaligen Flüchtlingslager Suruc vorbei und weiter auf der Südroute entlang der Grenze. Von erhöhtem Polizei- oder Militäraufkommen können wir nicht berichten. Wenige Straßensperren, die nur spärlich besetzt sind, und aufgehalten werden wir nur ein einziges Mal …. Weil sie neugierig sind und uns dann zum Tee einladen! Auch hier wiederum versichert uns die Polizei, es bestünde keinerlei Risiko für uns. Trotzdem, eigenartig fühlt es sich dennoch an. Wir reisen völlig unbehelligt durch eine Region, sind mit überaus freundlichen Menschen konfrontiert, werden überall willkommen geheißen und 50 km weiter südlich werden Menschen vertrieben, wurden Häuser und Einrichtungen bombardiert. Das Schöne und der Schrecken liegen so nahe beieinander. Aus eben diesem Grund fühlt es sich eigenartig an, nicht weil wir uns unsicher fühlen.

 

Wir fahren also weiter im Land der unzähligen Stauseen. Bei der Flutung des Birecik-Stausees im Süden ging die Hälfte des Dorfes Halfeti bereits unter. Die Moschee hat es gerade noch geschafft und ruht sicher am Seeufer. Dem Dorf Savasan, gleich daneben, ist es weniger gut ergangen. Von dessen Moschee sieht nur noch die Minarettspitze aus dem Wasser. Wir nutzen die Beschaulichkeit der Nachsaison und tuckern mit einem der Ausflugsboote entlang der Ufer des Euphrats. In diesen Momenten ist nur noch das Schöne an so einem Staudammprojekt sichtbar, der Rest der Geschichte ist versunken.

 

Noch weiter südlich, liegt die Harran-Ebene und das gleichnamige Dorf, graubraun und staubig inmitten einer trostlosen Gegend. Dabei war dies einst, lange vor Christi Geburt, eine mächtige Stadt. Schlachten wurden geschlagen, den Römern folgten Byzantiner, Araber, die Kreuzritter und letztlich die Mongolen. Davon hat sich die Stadt nicht mehr erholt. Übrig geblieben sind einige weit verstreute Kultstädten, ein kleiner Rest der Stadtmauer und einige wenige restaurierte Trulligehöfte. Angeblich braucht es 1023 Steine für den Bau einer Kuppel dieser Lehmstampfhäuser. Im Inneren herrscht angenehme Kühle, und einige der Gehöfte sind auch noch bewohnt - von arabisch-stämmigen Familien. Die meisten aber leben in neuen, charakterlosen Betonbauten daneben und nutzen die Trullis als Stall. Eine Einladung im Vorhof auf einen Kaffee nehmen wir natürlich auch hier gerne an.  Ansonsten empfinden wir den Ort aber eher charmebefreit, durchwachsen von hässlichen Betonbauten und unzähligen Strommasten, Dreck in jeder Ecke und erstmals hier in der Türkei laufen uns wieder bettelnde Kinder hinterher.

 

Ganz anders zeigt sich Sanliurfa – eine Mischung aus Altem Testament, Persischer Geschichte und Moderne. Der eigentliche Name Urfa bekam ein „Sanli“ (ruhmreich) vorne drangesetzt, weil die Bewohner sich im ersten Weltkrieg so standhaft zur Wehr setzten. Wir übernachten vor dem Archäologischen Museum, einem kolossalen modernen Bau, flankiert von riesigen Parkanlagen. Mit großem Wohlwollen flanieren wir durch die Altstadt, entlang der heiligen Karpfenteiche, rauf zur Zitadelle, vorbei an der großen Moschee und mitten hinein ins Getümmel des alten Bazars. Die Gerüche überschlagen sich, die Gassen sind eng und übervoll, die Menschen allerorts einladend. Eine kunterbunte Welt, in der alles zusammen zu kommen scheint, es fühlt sich ganz deutlich nach Orient - einfach herrlich!

 

In Mardin kleben die sandfarbenen Natursteinhäuser malerisch am gewaltigen Burgberg. Kirchtürme zeugen von der Zeit, als dies die Heimat syrisch-orthodoxer Christen war und die Minarette vervollständigen die Mixtur der Religionen. Vielleicht schon ein zu schönes Städtchen. Daher wohl auch die touristische Ausschlachtung. So bleibt es für uns ein kurzer Stopp auf unserem Weg nach Hasankeyf.

 

Ein Ort, der schon bald Vergangenheit sein wird, bloß der Name wird bleiben. Das alte Hasankeyf, an einer Engstelle des Tigris, wird dem zweitgrößten Staudamms Anatoliens zum Opfer fallen. Was noch von den alten historischen Bauten aus der byzantinischen Zeit übrig ist, soll in einem archäologischen Park wieder aufgebaut werden. Aber was ist schon ein künstlicher Park gegen gewachsene Historie! Die vielen Höhlenwohnungen im Burgberg werden größtenteils  geflutet.  Schon als wir uns der Stadt nähern, wird klar, welche massive Bauvorhaben dies bedeutet. Völlig neue Straßenführung, ausgebaut wie für die Landung eines Jumbojets, das Bergmassiv wird dafür über weite Strecken immer wieder durchtunnelt oder weggesprengt und davon ist erst ein Teil fertiggestellt. In der Ferne die neue Satellitenstadt, wie auf dem Reißbrett gezeichnet. Ein bisschen muten die Eingriffe wie Narben in dieser wunderbaren Landschaft an. Das Projekt war immer wieder umstritten. Umweltauflagen wurden nicht eingehalten, die Auflagen bzgl. Umsiedlung und Kulturgüterschutz wurden ignoriert, und trotzdem hat Ankara den Bau vorangetrieben. Das neue Riesenwasserkraftwerk soll wirtschaftlichen Wandel und blühende Landschaften bringen. Man wird sehen. Wir stehen auf dem Marktplatz, der in naher Zukunft 15 Meter unter Wasser sein wird …..