175 Tage Silkroad

 

Meine persönliche Seidenstraße

 

Meine ganz persönliche Seidenstraße - geheimnisvoll verpackt wie die Kokons der Seidenspinnerraupen reihen sich Erlebnisse aneinander. Daraus entsteht ein Faden - filigran und hauchzart, aber konstant einem großen Ziel entgegen - die Reise weit in den Osten mit dem eigenen Fahrzeug, über viele Grenzen hinweg. Wie war`s, wird man mich zu Hause fragen und ich werde nicht wissen, wo ich anfangen soll. Ein arabisches Sprichwort sagt „ein Kamel passt nicht in einen Kochtopf“ – auch meine Reiseschatzkiste ist im Moment so übervoll, Orientierung schwer möglich. Ich versuche trotzdem einen Faden zu spinnen, die Kokons zu entwirren.

Die sphärische Weite der Wüste Manghystau in Kasachstan. Sie hat mich so beeindruckt, dass mir die Worte fehlen, um diese skurrile Landschaft zu beschreiben. Einfach nicht von dieser Welt. Ein ganz besonders Stück des seidenen Fadens - hier leuchtet er wie von Zauberhand gesponnen.

Ein Hauch von Exotik in den alten, traditionellen Städten Uzbekistans. Frauen in ihrer traditionellen Kleidung auf der Parkbank, die mich an ihre Brust nehmen, weil sie selbst auf Urlaub sind und sich des Moments erfreuen. Einfach herzerwärmend. Wir verstehen kein Wort von einander, doch gemeinsam lachen geht immer. Lustige Kokons entlang meines Fadens tanzen in der Sonne Uzbekistans. 

Tadschikistan hat mich gefordert, wie kein anderes Land. Die Straßen so schlecht, die Täler so schroff, die Berge so abgeschieden. Den berüchtigten Pamir zur überqueren ist einer jener Sehnsuchtsprojekte und es ist geglückt. Doch Regenfälle haben Straßen unpassierbar gemacht, meine Nerven auf die Probe und mir immer wieder Fragen gestellt. Will ich das alles, ist es den Aufwand wert? Wir warten zwei Tage ab und tänzeln dann mit 12 Tonnen über dieses Provisorium, das man Straße nennt. Zuerst ist es Adrenalin, dann Endorphin, das meine Rezeptoren triggert. In Alarmbereitschaft bin ich in diesen Tagen in diesem Land allerdings fast ständig.  

Noch zuvor aber fahren wir entlang des reißenden Pandsch, auf der anderen Seite ist Afghanistan zum Greifen nahe. Ein irgendwie berührendes Gefühl, ich kann's nicht recht beschreiben. Unsere Straße ist wieder mal die reinste Katastrophe und fast auch wären wir hängen geblieben. Aber diese nur kurze Distanz, ja theoretisch nur ein paar Tempi, wäre da nicht die reißende Strömung, und ich könnte diese in meiner Vorstellung so exotische Welt Afghanistan betreten – diese Gewissheit macht etwas mit mir. Die diskrete Angst vor der Straße, die mich nie ganz auslässt, erfährt Linderung alleine dadurch, dieser geheimnisvollen Fremde so nahe sein zu dürfen. Ich sehe Menschen auf der anderen Seite des Flusses, lebendige Zeugen einer anderen Welt. Und so bleiben manche Kokons meines Fadens fest verschlossen, behalten ihr Geheimnis für sich. Auch das ist das Wunderbare am Reisen – es bleibt immer noch was übrig.

Auf den hohen Pässen fehlt dem Motor beim Start hörbar der Sauerstoff. Ich selbst komm gut damit zurecht. Na ja, bei raschen Schritten bergauf, da spüre ich sie auch, die "dünne" Luft. Aber viel mehr als Luft fehlen mir Ruhe im Inneren und die Sicherheit im Außen. Weder Fahrfehler noch körperliche Gebrechen haben Platz - Mensch und Maschine müssen funktionieren, alles andere könnte fatale Folgen haben. Hier in der Abgeschiedenheit dieser Berge und Täler spüre ich das erste Mal die Zartheit des seidenen Fadens - er könnte auch reißen.

Die Hochebenen Kirgistans sind wie das Paradies, so schallt es von jenen, die uns voraus sind. Es zieht mich dorthin, mich dürstet nach Erholung. Endlich wieder ruhig durchatmen, entspannt einschlafen zu können, darauf freue ich mich. Der Einstieg jedoch ist schwierig, die Entspannung will nicht kommen. Doch es wird deutlich grüner, Farben in der Landschaft gewinnen an Intensität - das tut mir richtig gut. Das Mongolei-Feeling auf den Hochweiden macht ein bisschen stolz. Ein fast erhabenes Gefühl überkommt mich - wir sind so weit gekommen, dürfen auch das noch erleben. Die ersten Yaks zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Yakmilch zu trinken - oh je, da verschwindet es ganz schnell wieder. Das Meer Kirgistans liegt vor uns, meine Erwartungen sind hoch - zu hoch. Hier verliert der Faden ein bisschen seinen Zauber. Wir schreiben schon Tag 111 - vielleicht spielt auch das mit eine Rolle. Ich versuche immer wieder meine Gedanken zu ordnen. Die Heimat nicht zu vermissen, ganz hier anzukommen, doch es will nicht gelingen. Irgendwann, ganz im Osten Kirgistans beschließen wir, die Rückreise anzutreten. Ab jetzt geht es wieder viele Kilometer zurück nach Westen.

Ganz unverhofft verbringen wir fast zwei Wochen in Dagestan und Tschetschenien. Und trotz einer gewissen Reisemüdigkeit entfacht noch einmal das Feuer des Reisens, Abenteuer zeigt sich von seiner wunderbarsten Seite. Die Offenheit und Freundlichkeit der Gastgeber, die wir so – auch in Anbetracht der politischen Situation – nicht erwartet haben, erfüllt unsere Herzen mit ehrlicher Dankbarkeit. Die abwechslungsreiche Landschaft, auch noch auf guten Straßen erreichbar, entschädigt mich für die tagelange Hoppelei vergangener Wochen.

Wir sind vor 172 Tagen aufgebrochen. Ein großes Ziel, viele Bilder im Kopf, hohe Erwartungen, vielleicht zu hohe. Der Faden hat sich weit gespannt, auch einige Male überspannt - doch er ist nicht gerissen! Und das ist das Wichtigste. Es war ein langer Weg auf den Spuren alter Geschichten. Karawanen zogen hier entlang, transportierten Waren,  Wissen und Tradition von einem Ort zum anderen. Ich durfte auch auf ihren Spuren wandeln, gleichen Boden berühren, vielleicht einen ähnlichen Sonnenuntergang vor gleicher Kulisse sehen. Und warum jauchze und springe ich nicht? Warum hat sich mein Herz nicht, wie schon so oft zuvor, mit jener Begeisterung gefüllt, wie ich das schon kenne? In Indien, in Südostasien, im Iran oder auch in GL und in der Türkei?

Ich denke, jedes Reiseherz hat ganz bestimmte Rezeptoren, die das Reisen triggert. Hier hat es nicht immer funktioniert. Rezeptor und Reiz haben manchmal nicht zusammengepasst. Das genau so auszusprechen kostet mich Überwindung, passt nicht in die Reise-Community, in der doch mehrheitlich alles über den grünen Klee gelobt wird. Ich bin dennoch froh, dass wir diese Reise gemacht haben, möchte die Erfahrungen nicht missen - weder jene im Außen und auch nicht jene, die mein Innerstes dabei machen durfte. Sechs Monate durch die STANs zu reisen, und zu oft zu lange zu holpern, um nach vielen Tagen miesester Straße dann ein landschaftliches Highlight zu sehen, war für mich eine Grenzerfahrung. Vielleicht hab ich dafür schon zu viel Schönes gesehen. Vielleicht hab ich dafür kein ausreichendes Abenteuer-Gen, vielleicht hab ich dafür zu Hause zu viel Wunderbares, um mich dem aussetzen zu wollen. Und doch.... Es war auch eine sehr spannende Zeit. Wir haben wieder einmal die Herzlichkeit der Menschen erleben dürfen, ihre Gastfreundschaft und Willkommenskultur. Und ich durfte erleben, wo meine persönlichen Grenzen des Wohlbefindens sind. So hat meine Seidenstraße einen Anfang und jetzt auch ein Ende gefunden und der Faden mit seinen noch verschlossenen Kokons wandert in meine Schatzkiste erfüllter und unerfüllter Träume.