Wilde Wasser des Pandsch
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Das Wasser des Pandsch wütet an mir vorbei. Sein Gebrüll ist so laut, dass es mir Angst bereitet. Dann wieder ein lauter Knall, die zweite Sprengung heute morgen. Die Chinesen schlagen eine neue Schneise, ringen dem Gebirge Meter um Meter ab. Auf der anderen Seite des reißenden Flusses ist Afghanistan. Wie Adlerhorste kleben die kompakten Lehmdörfer an den steilen Hängen und die bunten Kleider der Frauen strahlen wie kleine Farbtupfer. Wir winken uns gegenseitig zu - zwischen den Welten nur der reißende Pandsch. Ich verkeile mich wie gebannt in meinem Sitz, während Christian uns mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 km/h auf dieser grauenvollen Piste voranbringt. Mein Hirn sucht nach jenem „Mythos Seidenstraße“, also nach dem Grund, weswegen wir hier sind. Ich brauche gerade ein bisschen Halt für all das. Wie viele Karawanen sind hier wohl schon entlang gezogen, haben Seide, Kultur und Wissen von der einen Richtung in die andere getragen. Und jetzt betreten wir diesen Boden – atmen die Luft der Vergangenheit. Vielleicht so irgendwie…
Und wieder reißt mich der ungestüme Pandsch aus meinen Gedanken. Das Wasser ist braun und aufgewühlt, schlägt Kapriolen bis zu gut zwei Metern, wenn es über riesige Gesteinsbrocken seinen Weg findet. Wir sind jetzt tief unten im Tal, zu beiden Seiten steigen Felswände bedrohlich empor. Die Piste wird immer abenteuerlicher. Wellblech wird zur übelsten Geröllpiste, die Trasse wird schmal und ich bete insgeheim, es möge uns niemand entgegenkommen. Doch niemand hört mein Gesuch und ich sehe die Lichthupe des Sattelschleppers mit Anhänger vor uns, hinter ihm ein zweites Gefährt derselben Länge. Christian setzt zurück, wir drücken uns in einer Kurve an die Felswand und sind noch froh, dass wir aufgrund der Fahrtrichtung die Bergseite haben. Die beiden Lastzüge winden sich tatsächlich an uns vorbei! Meine Sinne sind ständig in Alarmbereitschaft, meine Wahrnehmungsfühler schon längst übersättigt. Oft möchte ich raus aus dieser Wildheit, zurück in meine Vertrautheit. Ich schiebe diese Gedanken aber irgendwohin, weit zurück, wo sie niemand anderer wahrnehmen kann. Nur manchmal kriechen meine Zweifel nach vorne und zeigen mich verletzlich und klein.
Wir schaukeln um eine weitere Kurve, unter unseren Stollenreifen gut fünfzehn Zentimeter feinster puderfeiner Staub. Nun geht nichts mehr. Die Sprengung hat vor uns gut 500 Kubikmeter Gestein aus der Wand gerissen. Der Schaufelbagger hängt wie ein Krake beängstigend schräg im Hang und befördert große Brocken in den tosenden Pandsch. Es wird gut eine Stunde dauern, bis die Piste darunter wieder befahrbar ist. Vier Overlander Fahrzeuge, zwei lokale PKWs und ein paar chinesische Arbeiter teilen sich den staubigen Flecken. Und ich finde einen Moment Ruhe im LKW und schreibe diese Zeilen, während draußen weiter der Pandsch sein Unwesen treibt.