Geisterdörfer Gamsutl und Ethnosakl
Wir machen einen Pausetag, und das ist gut so. Ich brauche auch ein bisschen Zeit, mich mit diesem neuen Land auseinander zu setzten. Die Etappen sind hier in Dagestan bei weitem nicht so anstrengend, wie ich das davor in den STAN-Ländern empfunden habe – die Distanzen sind kürzer, die Straßen gut und die Landschaft viel grüner. Ja, ich bemerke, das macht auch was mit mir, es tut mir gut. Die Rauheit, die extreme Trockenheit, das Fehlen von Grün in den vergangenen Wochen hat mich ein großes Manko spüren lassen, das jetzt wieder langsam gefüllt wird. Immer noch ist es extrem gebirgig, schließlich befinden wir uns im Kaukasus und so ganz lieblich, wie wir das von zu Hause kennen, ist es auch hier nicht. Aber zumindest wieder grün! Dagestan ist die flächengrößte und bevölkerungsreichste russische Kaukasus-Republik. Und obwohl die Republik zu den ärmsten der russischen Föderation gehört, ist die Stimmung hier überaus angenehm. In diesem stark zerklüfteten Bergland sind viele Turksprachen und unzählige Dialekte heimisch. Englisch steht leider ganz weit hinten auf der Liste und somit bleibt die Kommunikation sehr rudimentär. Man sieht die Armut in jedem Dorf an der maroden Baustruktur, v.a. in den abgelegenen Bergregionen. Aber dennoch, es wird auch dort neu gebaut, notdürftig repariert und irgendwie versprüht diese Region trotz Armut Elan und Lebensfreude. Ich wundere mich immer wieder, dass manch kleines runtergekommenes Dorf nicht völlig verlassen wird. Aber nein, man gibt es nicht ganz auf. Und so oft begegnen wir extrem freundlichen, offenen Menschen, die uns ihre Hilfe anbieten. Welch angenehmes Gefühl. Gestern sind wir auf eine Reisegruppe aus Moskau gestoßen und konnten mit einem von ihnen plaudern. Auch er hat bestätigt, was wir spüren: Die Menschen hierin Dagestan sind extrem gastfreundlich. An unserem letzten Standplatz kam zweimal ein Mann aus dem Dorf zu uns, natürlich will er uns zu sich nach Hause einladen, irgendwann bringt er dann als Geschenk noch eine kleine Puppe vorbei (die seine Mutter handfertigt), und meint am Schluss….“wir sollen doch nach Dagestan ziehen! Er würde dafür sorgen, dass wir ein Stück Land bekämen und bald die Sprache lernen können“. Das klingt spaßig, aber die Idee ist sprichwörtlich für das, was wir hier empfinden – man würde uns aufnehmen. Ja, ich denke schon. Es leben viele Volksgruppen hier und die größte Gruppe ist jene der Awaren. Und nicht nur einmal hat jemand erwähnt, kein Russe zu sein, sondern eben Aware. Dagestan war (und ist wohl) nicht immer friedlich. Gefangen in den Mühlen der Tschetschenienkriege gab es immer wieder Anschläge, Geiselnahmen und Tote. Auch die Tatsache, dass über 90 % der Bevölkerung Muslime sind, ist in der russischen Föderation nicht ganz einfach. Aber irgendwie gelingt es den Menschen eine überaus angenehme Stimmung zu verbreiten. Bedingt durch die schwierige politische Situation vergangener Jahre, ist der Tourismus beinahe zum Erliegen gekommen. Wohl mit ein Grund, weshalb man sich über unsere Anwesenheit freut.
Und nach diesem Pausetag geht es ein Stück weiter Richtung der verlassenen Stadt Gamsutl. Hoch oben auf 1400 Meter thront das alte Lehmdorf, in dem es noch im 20. Jhd. Geschäfte, Postamt und ein Krankenhaus gab. Um 1950 begannen die Menschen das Dorf zu verlassen und 2015 starb der letzte Bewohner des Dorfes. Die einzigen Besucher heute sind Touristen. Und obwohl der Anstieg nach oben schweißtreibend und nicht ganz einfach ist, kommen viele nach oben. Manche mit Pferd, die meisten das letzte Stück zu Fuß. Der Blick vom Nachbarhügel ist beeindruckend und macht die solitäre Lage noch deutlicher! Für Styros haben wir einen coolen Platz hinter dem Hügel davor gefunden und für die letzten Kilometer das Moped verwendet. Mit dem geht es dann am nächsten Tag auch nach Sogratl ins Ethnosakl-Museum. Das Dorf selbst ist extrem verfallen, nur das kleine Museum ist liebevoll renoviert und zeigt das „alte Leben“. Eine Geländestufe tiefer hat man neue Häuser gebaut, aber auch diese sind nicht ganz leicht zugänglich, die ganze Gegend ist extrem abgelegen. Die Mopette ist uns hier eine große Hilfe, mit Styros wären wir längst gescheitert.
Es geht weiter über das Rückgrat des Kaukasus über die Berge zum Khunzak Wasserfall. Der führt im Moment extrem wenig Wasser und wirkt gar nicht spektakulär. Aber unser Standplatz gegenüber auf der Klippe allerdings schon! Das Wetter ist nicht besonders gut und so wird es eher ein Indoor-Programm mit Blick über die Klippe und zum Wasserfall – könnte schlechter sein J.