Inseln im Nil und schneeweiße Feluken
Assuan ist Anziehungspunkt für Viele. Schon früh bekannt für sein mildes Klima, war die Stadt seit jeher ein beliebter Winterkurort für reiche Engländer. Mit dem Bau der Staudämme erhöhte sich die Einwohnerzahl drastisch, und Nubier, deren angestammte Dörfer im Stausee ertranken, fanden hier eine neue Heimat. Und jetzt sind auch wir da. Das wunderbare an unserer Schiffsreise ist die Tatsache, dass wir immer mittendrin sind, quasi erste Reihe fußfrei. Also kein großer Besichtigungsaufwand, eher wie ein kleiner Kultur-Kur-Aufenthalt. Öffentliche Fähren kreuzen immer wieder den Nil und ermöglichen auf ganz simple Weise uns alleine auf Entdeckungstour zu begeben. Dass wir dann dank Christian immer noch viele Kilometer laufen, das ist ja eine „andere Geschichte“.
Vor unserem Fenster erstreckt sich der Nordzipfel der Insel Elephantine und noch weitere kleine Inselchen sind in unserem Blickfeld, die vom Rest der einstigen Savannenlandschaft noch übriggeblieben sind. Früher war Elephantine ein Handelsumschlagplatz für Elfenbein, heute dominiert nur der Turm des Oberoi-Hotels die Insel. Wir besuchen lieber das Old Cataract-Hotel an der Cornice und besuchen Agatha Christie zur Teatime. Von dort sieht man noch den allerletzten Rest der wunderschönen Katarakt-Landschaft inmitten des Nils. Und wenn dann noch die Feluken ihre Segel hissen und lautlos gegen den Wind aufkreuzen, könnte das Bild nicht romantischer sein. Welch ein Kontrast, wenn man diese Pracht und Eleganz sieht im Vergleich zu jenem Scherbenviertel, durch das wir gerade mal zehn Minuten davor spaziert sind. Der Arabische Frühling hat den Ägyptern zwar ihre Freiheit gebracht, der Wirtschaft geht es seither aber leider schlechter als zuvor. Jobmöglichkeiten fehlen in allen Bereichen, Improvisation muss hier zur Maxime werden. Wir fahren immer wieder mal per Anhalter privat mit und da wird dieses Fehlen an Allem ganz schnell sichtbar. Kein Hebel sitzt fest, die Innenverkleidung existiert nur mehr rudimentär. Erinnerungen an Kuba werden wach. Aber nein, anders, auf Kuba ist Vieles liebevoll restauriert, hier hängen die Kabel und Fetzen nur raus. Unglaublich, dass diese Karossen noch fahren können.
Die Gräber hoher Beamter wurden im Alten Ägypten an einem steilen Hang am Nilufer angelegt. Die Anlage wird nachts beleuchtet, und von unserem Schlafzimmerfenster aus wähnt man den jüngsten Tag gekommen, weil die „von da oben“ anscheinend nun doch den Weg zu uns gefunden haben – wie ein außerirdisches Raumschiff mutet der Felshang mit seinen Lichtern an. So vermischt sich jahrtausendealte Geschichte mit Sience Fiction – und dazwischen ruht stoisch der Nil.
Und auch die Fahrt nach Süden zum Assuan-Staudamm funktioniert perfekt mit Micro-Taxi und per Anhalter – einfach mittendrin im arabischen Alltag. Der Staudamm ist wohl eines der am besten bewachten Bauwerke hier in Ägypten.
Wie sehr muss sich diese Landschaft doch seit der Errichtung des Hochdamms verändert haben. Als es nur den Alten Staudamm gab, den man immerhin auch schon als die Pyramide des 19. Jhd. bezeichnete, wurde das Ackerland hier am Fluss noch ab und zu geflutet. Nämlich immer dann, wenn mit der sommerlichen Flutwelle die Tore des Damms geöffnet wurden, und Wasser fruchtbaren Nilschlamm auf die Felder brachte. Mit dem Stausee schaffte man infolge ein Wasserreservoir für Trockenperioden. 1971 wurde dann unter Nasser mit Hilfe der Sowjets der weitaus größere neue 3,6 km lange und 110 m hohe Hochdamm eingeweiht. Mit ihm schuf man durch Bewässerungssysteme zusätzliche 8000 km² Ackerflächen. So hat der Mensch wieder mal seine Übermacht bewiesen und der Natur ihre Eigenständigkeit genommen – zumindest für den Moment. Doch bei allen Vorzügen blieb dieser Eingriff in die Natur nicht ohne Folgen für die Flusslandschaft. Durch die veränderten Abflussverhältnisse gräbt sich der Fluss seither tiefer ein und spült Uferzonen ab. Außerdem fehlt die zyklische Bewegung des Grundwasserspiegels im Niltal, wodurch die Versalzung des Grundwassers gestiegen ist. Mit der Ausdehnung der Bewässerungsflächen und der Siedlungen versickerte mehr Wasser im Boden, ließ den Grundwasserspiegel steigen und brachte so manches Baudenkmal aus dem Lot. Die notwendigen Drainage-Kanäle wurden erst viel zu spät gebaut.
So geschehen auch mit dem Philae-Tempel, den man versetzen musste, als nur noch die Spitzen des Bauwerkes aus dem Wasser lugten. Die höher gelegene Nachbarinsel wurde im Terrain der Insel Philae angeglichen und dann wurde der Tempel Stein für Stein auf die neue Insel versetzt – eine unglaubliche Ingenieursleistung. Das wollen wir uns natürlich anschauen und landen erstmals im richtigen Touristenrummel. Unzählige Boote warten bereits auf ihre Beute und die Falle möchte natürlich zuschnappen. Ein bisschen können wir sie austricksen, die schlitzäugige ägyptische Bootsmafia, und das freut uns, weil sie einfach unverschämt sind! Wir sind ganz in der Früh dort und haben die alten Gemäuer beinahe für uns alleine. Der Mythos erzählt, dass Osiris hier das linke Bein ihres Gatten wiedergefunden hätte. Der Arme wurde vom bösen Seth zerstückelt und über ganz Ägypten verstreut. Na dann schauen wir mal, welch Finderglück uns dieser Besuch beschert. Es ist eine riesige Anlage, die beeindruckt. Wir wandeln durch den ptolemäisch-römischen Isis-Tempel, vorbei am Nilometer, durchs Hadrianstor und in den Asklepiostempel, schlendern durch die Reste der späteren Koptischen Kirche und werden Zeugen davon, wie alle Herrscher ihrer Zeit die Bauwerke zu ihrem Nutzen und Gefallen verändert haben. Die großartige Architektur der alten Ägypter hat vielen nachkommenden Herrschern als „Unterkunft“ gedient. Natürlich nicht ohne das Bemühen, die Zeichen der Macht des Vorgängers zu verdrängen, um dem eigenen Nachtstreben Ausdruck zu verleihen. So war es immer und wird es wohl auch immer bleiben….. Nur die Mittel zum Zweck haben sich verändert.