Ägypten abseits

 

Ich habe mal ein paar Daten zusammengetragen, welche die Situation in diesem Land ganz faktisch erläutert. Beschreibungen also, die noch nichts über das Empfinden aussagen, und dennoch drängen sich alleine dadurch Gefühle auf, die jetzt im Nachhinein manches erklären.

 

Anfang 2011 ging das ägyptische Volk auf die Straße, um  Präsident Husni Mubarak zu stürzen und um sich seine Freiheit zu erkämpfen. Als erster frei gewählter Präsident Ägyptens trat Mohamed Mursi 2012 sein Amt an. Doch der neue Präsident war von Anfang an umstritten, es kam es zu heftigen Protesten gegen Mursi, aber auch zu Solidaritätskundgebungen seiner Anhänger. Im Juli 2013 wurde er bereits wieder seines Amtes enthoben, und im Mai 2014 fanden erneut Präsidentschaftswahlen statt, bei welchen der ehemalige General al-Sisi als klarer Sieger hervorging. Die Regierungszeit von al-Sisi ist von einem autoritären Herrschaftsstil, Repression und Menschenrechtsverletzungen gegen oppositionelle Kräfte geprägt. Das Land entwickelt sich wieder zurück in Richtung der Zustände vor dem Arabischen Frühling.

 

2015 liest man Folgendes über Ägypten: Das Militärregime unterdrückt jegliche Opposition, Extremisten verüben Attentate, die Spirale der Gewalt dreht sich unaufhaltsam und bindet Kräfte, die eigentlich zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme gebraucht werden. Ägypten geht es wirtschaftlich deutlich schlechter als noch unter Hosni Mubarak. Die einzige wichtige Einkommensquelle, die einigermaßen konstant geblieben ist, sind die Devisen, die Ägypten durch die Durchfahrt internationaler Handelsschiffe durch den Suezkanal erwirtschaftet. Die meisten anderen Faktoren haben sich verschlechtert: Der Tourismus ist zurückgegangen, die Arbeitslosenquote ist gestiegen. Das alles ist direkt auf die Revolution zurückzuführen. Die von  jahrzehntelanger Misswirtschaft, Korruption und Unruhen geprägte Wirtschaft leidet unter Devisenknappheit. Auch Meinungsverschiedenheiten mit Saudi-Arabien, unter anderem aufgrund der Anlehnung an Russland, machen die Situation nicht einfacher. Die Saudis haben ihre Geldhähne noch deutlicher als ohnedies schon vorher gedrosselt. Dass Ägypten weiterhin Geld bekam, lag an der Angst vor einem Kollaps des Landes. Nach dem Sturz Mursis verbesserte sich zwar die Situation zu Russland wieder, dafür allerdings haben die USA ihre Gelder einfroren.

 

All dies sind Voraussetzungen dafür, dass die Menschen in diesem Land es nicht leicht haben können! Wenngleich wir auch hören, dass es jetzt wieder langsam besser werden sollte, die Chancen auf Arbeit seien gestiegen. Doch wir wissen es nicht genau.

 

Auch das enorme Bevölkerungswachstum trägt nicht zu einer Verbesserung der Wirtschaftsleistung bei und wird von Experten als „demografische Zeitbombe“ gesehen. Ich denke, dass in einer immer komplexeren Welt auch eine große Anzahl von Kindern nicht wettmachen kann, was technischer Fortschritt auf der anderen Seite von einem Land und seiner Gesellschaft erfordert. Doch eben diese alten familiären Strukturen sind noch tief verwurzelt. Etwa 90 % der Einwohner Ägyptens bekennen sich zum sunnitischen Islam. Sichtbares Zeichen einer zunehmenden Islamisierung der Gesellschaft sind die immer häufiger zu sehenden tief verschleierten Frauen. Dies ist unter anderem auf den stärkeren Einfluss von konservativen Strömungen aus den Golfstaaten (verstärkt durch die Rückkehr von ägyptischen Wirtschaftsmigranten aus der Region) zurückzuführen. Noch in den 1990er Jahren war die Mehrheit der ägyptischen Frauen gänzlich unverschleiert. Noch bis 2005 lag Ägypten weltweit an der Spitze bei der Verstümmelung weiblicher Genitalien. Im Zuge des Verfassungsreferendums im Jahr 2012 wurde ein Absatz zur Gleichstellung der Frau aus der Verfassung gestrichen. Folter ist in ägyptischen Gefängnissen noch weit verbreitet und es gibt die Todesstrafe. Fakten, die beängstigen, wie ich meine.

 

Eine der bedeutendsten Hochkulturen, die bereits 3000 v.Chr. begann, steht heute nicht gerade rosig da. Ganz bestimmt haben sie, wie dies überall der Fall ist, nicht alles selbst verschuldet. Wie immer spielt der Einfluss fremder Mächte eine große Rolle dabei, wie gut oder schlecht sich ein Land entwickeln kann. So sind auch wirtschaftliche Abhängigkeiten, die unter anderem durch den Bau des Suez-Kanals zu anderen Staaten entstanden sind, nicht zu vernachlässigen.

 

Aber wie nun fühlt es sich an in diesem Land? Wir müssen da ganz deutlich unterscheiden. Hier, in unserer Lidl-Enklave, im 5-Sterne-Club, ist von all dem nichts zu merken. Verrückt eigentlich, und es macht uns klar, dass diese Art einer Reise rein gar nichts von einem Land erzählt. Nicht mal die Geschichten der Angestellten geben Einblick, die wollen ihr Land positiv präsentieren, wollen keinen Touristen verlieren. Bei unseren kurzen Tagesausflügen vom Schiff aus haben wir ein ganz klein wenig in dieses Land hineingeschnuppert, homöopathisch quasi, mehr war nicht möglich. Dort allerdings haben wir uns wohl gefühlt. Weder Angst noch Ablehnung waren zu spüren, ganz im Gegenteil. Interesse, Hilfsbereitschaft ohne daran geknüpfte Bedingung und Herzlichkeit sind uns begegnet. So haben wir das Gefühl, es könnte sich wirklich lohnen, Land und Leute einmal richtig kennen zu lernen. Halt ein anderes Mal – alleine und individuell unterwegs im Land der Pharaonen.