Wilde Atlantikküste
Die Atlantikküste bietet Vieles – Moderne Siedlungen wie auch noch altehrwürdige Seefahrerorte. Wir umfahren Casablanca großzügig, die Moschee kennen wir schon und Mr. Bogart war ja bekanntlich ohnedies nie in Rick`s Cafe, also brauchen wir dort auch nicht nach seinen Spuren zu suchen. Etwas weiter südlich landen wir wieder an der Küste an – wie einst die Portugiesen, nur wählen wir halt den Landweg. Die kleine Stadt Azemmour liegt am größten Fluss Marokkos, dem Oum er-Rbia. Es ist Dienstag und großer Wochenmarkt vor den Toren der Stadt. Wir zwängen uns mit Styros zwischen den Ständen hindurch und erleben den geschäftigen marokkanischen Alltag. Die Handelsniederlassung der Portugiesen hinterließ einen stattlichen Festungsring, kein feindliches Schiff blieb hier unentdeckt. Der Ort selbst mutet heute recht ärmlich an, hier ist der Fortschritt der letzten Jahrzehnte nicht wirklich angekommen. Viele Eselkarren, Menschen in traditioneller Kleidung und spätestens beim ersten Lächeln, das die kaputten Zähne frei gibt, wird klar, dass es an Vielem fehlt. Wir fahren durch Gebiete intensiver Landwirtschaft und hier wird schon eifrig geerntet. Die freundlichen und sichtlich wenig begüteten Arbeiter winken uns zu sich. So sind wir hier einige Paar Turnschuhe und Jeans losgeworden und haben dafür Karotten und Rüben bis zum Ende unserer Tage!
Einige Kilometer weiter südlich, in El Jadida, wandelt sich das Bild wieder ganz deutlich. Die gepflegte Provinzhauptstadt zeigt ganz schnell, dass man hier wohlhabend ist. Eine schöne Strandpromenade, eine mächtige portugiesische Festung, viele renovierte Gebäude, eine beeindruckende Zisterne und ein charmantes Gassengewirr in der Alt- wie auch Neustadt. Wir halten fest: Die für uns vielleicht einladendste urbane Ansiedlung abseits der Königsstädte. Wir kommen also wieder zu der Frage, was macht einen Ort aus, der zum Verweilen einlädt? Wenn man wieder eine Zeitlang in der Heimat verbracht hat, geraten die Antworten darauf in den Hintergrund. Jetzt sind zumindest die Fragen wieder da und langsam formieren sich Gefühle und Eindrücke wieder zu einer Antwort. Wir spazieren auch am nächsten Morgen nochmals durch die Gassen der Citè Portugaise – also muss etwas dran sein.
Wenn man El Jadida verlässt erreicht man bald das größte Industriegebiet des Landes: Kraftwerksbauten, Phosphatförderbänder, Hochspannungsmasten, Tanks – hässlich zum Quadrat, versorgt es doch aber halb Marokko mit Strom und gibt vielen Menschen Arbeit. Wenn auch eine Beleidigung für das Auge, hat es wohl doch seine Berechtigung.
Noch weiter gen Süden führt die palmengesäumte Av.Hassan II in das Bade- und Fischerstädtchen Oualidia. Kilometerlang reihen sich weiße Häuser die Hänge hinab bis zur Küste und bilden ein riesiges Feriendomizil für wohlhabende Marokkaner. Derzeit noch ausgestorben, füllt es sich im Sommer mit all jenen, die der Hitze der Städte entfliehen können. Eine schöne Lagune bietet Schutz und Rückzugsmöglichkeiten vor dem tosenden Atlantik. Aber eben der zeigt sich hier von seiner wunderbarsten Seite. Wir stehen nicht dort, wo es einem Magneten gleich unzählige Womos hingezogen hat – nämlich am sauber betonierten Parkplatz im Zentrum – sondern etwas außerhalb ganz alleine am menschenleeren Strand, und dennoch in Gehweite zum Ortskern. Einfach traumhaft!
Als ob das Meer scharfe Krallen hätte und mit jeder Brandungswelle tiefe Scharten in das Erdreich der Küste reißen könnte, so zerklüftet sieht die Küstenlinie aus. Die Wassermassen des Ozeans rollen zuerst noch scheinbar harmlos heran, bäumen sich ca. 100 Meter vor der Küste in einem gewaltigen Kraftakt auf, bis meterhohe Wellenberge zu schäumender Gischt wieder zusammen fallen. An manchen Stellen ist es so laut, dass man beim Sprechen die Windrichtung beachten sollte, wenn man sich Gehör verschaffen möchte. Aber der Wind ruht dieser Tage noch etwas und es lässt sich wunderbar hoch oben auf den Klippen sitzen. Vor uns das schäumende Meer, hinter uns ein bunter Blumenteppich und dazwischen die Dünenlandschaft. Hoch auf einer Klippe thront der weiße Marabut des lokalen Heiligen. Wie zwergengleich man sich da fühlt, klein und unbedeutend. Und JA, man kann getrost mehrere Stunde hier sitzen und einfach nur aufs Meer hinausschauen, ohne dass Langeweile die Seele trübt. Fischer sitzen hoch oben am Rand der Klippen, werfen ihre langen Angeln weit hinaus in den Ozean. Und andere wieder, Waghalsigere klettern hinunter und balancieren bei Ebbe auf den scharfkantigen Felsen und versuchen dort ihr Glück zu machen: Spezialität hier: Austern und Seespinnen (eine Riesenkrabbe). Auch wir haben nach einem langen Strandspaziergang uns an fangfrischen Austern gütlich getan. Gleich frisch aus dem Korb des Anglers, Zitrone drauf und flutsch runter damit – wenn nicht hier, wo dann!