Marrakech
Wir lassen uns ja diesmal eher ein bisschen treiben, so mit einem vagen Plansoll und viel Luft in alle Richtungen. So steht abends oft noch nicht genau fest, wo es morgens hingehen soll. Der Entschluss, die Hafenstadt Safi anzusteuern war somit vielleicht nicht die beste Wahl, aber man weiß es vorher nie ganz genau. Manchmal ist ein Ort, eine Route schön beschrieben und entpuppt sich für uns persönlich dann erst als flopp. Und dann wieder kann ein neuerlicher Besuch am selben Ort sogar wieder eine positive Überraschung sein – so ist das beim Reisen, viele Faktoren spielen zusammen und entscheiden über den Ausschlag des Stimmungsbarometers. Kurz um, Safi hat dieses Mal nichts gebracht, außer den ganz akzeptablen Besuch des Töpferviertels.
Schon ganz anders geht es uns da mit unserem nächsten Halt: Marrakesch. Ich erinnere mich an das letzte Mal, da hat mich die Stadt gar nicht soooo fasziniert, weiß der Geier, was dies verhindert hat. Heuer nähern wir uns langsam von Norden an und schlendern mal gemütlich durch den Jardin Majorelle. Zwischen den schönen Pflanzen dominieren die Farben Gelb und Blau – ein ganz unbeschreiblich strahlendes Indigoblau. Nun schützt bekanntlich die Farbe Blau vor dem „bösen Blick“, die Blicke per se zieht diese Wellenlänge auf jeden Fall an. Wohl auch der Name Ives Saint-Laurant, der den Park 2000 erworben hat und renovieren ließ. Und bei so strahlendem Wetter, wie wir es heute haben, blendet das Blau einen fast. Trotz der doch vielen Touristen ein wirklich beeindruckender Garten.
Überhaupt beeindruckt uns hier in der Neustadt die Großzügigkeit der Straßen und Plätze – irgendwie wirkt auch alles so „aufgeräumt“, ja auch ziemlich sauber, man glaubt es nicht. Palmenalleen, Rosen und Bougainvilleen säumen die Straßen. Die modernen Neubauten sind alle im Braunrot des Wüstensandes gehalten und fügen sich harmonisch in die Landschaft ein. Der Hohe Atlas bietet der Stadt eine traumhafte Kulisse am Horizont und bestimmt auch das Klima der Region. Im Hochsommer natürlich angenehm, weht abends immer ein kühler Wind von den Bergen her. Ja und ausnahmsweise hat auch die Wettervorhersage gestimmt und heute, am zweiten Tag hier in der Stadt, regnet es! Ohne parapluie in den Straßen unterwegs, kehren wir bald wieder zurück und machen es uns vorerst zur Büroarbeit im Haus gemütlich – auch dafür muss Zeit und Platz sein, wir sind ja schließlich nicht auf Urlaub J. Doch sobald der Regen nachgelassen hat, machen wir uns wieder auf die Socken.
Wir haben ja für Styros einen neuen Stellplatz gefunden, der uns weit besser zusagt. Was heißt hier Stellplatz, es ist praktisch eine riesige geschotterte Freifläche, die in eine Blumenwiese mit Sträuchern ausläuft, gleich hinter der Kotubiya Moschee. Styros hat`s also gemütlich und wir nicht weit zu Fuß in die Stadt. Und zu Fuß sind wir den Rest des Tages durchaus gut unterwegs – viele Stunden latschen wir von einem Palais zum nächsten, von Tor zu Tor, von Riad zu Riad, von Garten zu Bazar und wieder retour. Hinter den Mauern der Altstadt verbergen sich prachtvolle Innenhöfe, immer wieder geben offene Türen den Blick auf schöne Mosaiken und Springbrunnen frei.
Aber noch etwas ist sichtbar in dieser Stadt: die Armut auf den Straßen. Jede Stadt zieht unweigerlich auch jene an, die weder mit einer Wohnstatt noch mit Arbeit gesegnet sind. Das sind all jene, die durch den Wohlstandsrost durchgefallen sind – umso erdrückender wirkt es vielleicht sogar. Armut inmitten der Fülle stellt die Betroffenen noch stärker bloß und macht die Begünstigten noch betroffener. So empfinde ich es jedenfalls. Es gibt wirklich viele Menschen, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch einer Arbeit nachgehen müssen. So werden Zigaretten per Stück (!) verkauft, Taschentücher per Einzelpackung (!), eine schwere Kanne Tee oder Kaffee wird durch die Straßen getragen, um ihn becherweise zu verkaufen, Jüngere versuchen sich als Guide oder als Kutscher, an jeder Ecke versucht jemand sein Glück zu machen. Hier in Marrakesch belästigt einen kaum jemand, es ist eine funktionierende Koexistenz jener die zahlen und jener, die hoffen ein Geschäft zu machen. Manchmal muss man sich davon aber auch freispielen, das muss sein, sonst erschlägt einen die Fülle an Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.
Dieses Angebot gipfelt dann noch ein weiteres Mal, nämlich abends am Djamaa el-Fnal, am einstigen „Platz der Geköpften“. Der riesige Platz im historischen Zentrum mutiert ab dem späten Nachmittag zur Bühne für Tänzer, Akrobaten, Schlangenbeschwörer, Wasserträger und Märchenerzähler. Die Sinne scheinen bald überfordert, wenn man sich all dem zu lange hingibt – den marktschreierischen Rufen der Akteure, den Trommeln, der Musik, dann wieder Allahs Ruf zum Gebet, den Gerüchen an den unzähligen Essensständen, den Menschenmassen, den Heilern mit ihren Wundermittelchen. Kaum passt man nicht auf, hat man bereits ein Hennatatoo auf der Hand oder muss sich zwangsläufig die gesamte Speisekarte eines Ladens mitsamt Familiengeschichte anhören, weil man nicht rechtzeitig dankend abgelehnt hat. So ist das hier, man muss schnell und klar sein – sonst haben sie einen erwischt, und man ist wie die Ratte der Flöte des Fängers von Hameln verfallen. Doch, und da bin ich wieder am Beginn meiner Geschichte, sich dem Flair, ja dem Sog dieser Stadt nicht hinzugeben, man hätte hier in Marokko etwas versäumt – einfach faszinierend!