Im Tal der Steingestalten
Es gibt ein riesiges Donnerwetter, Laurussia und Gondwana stoßen aufeinander, die Erde tut sich auf, nichts ist mehr so, wie es mal war. …
Nicht etwa zwei Kontrahenten haben sich da gerade duelliert, nein, es geschah irgendwann vor 300 Mill. Jahren, dass die beiden Urkontinente aufeinander prallten und das Bergmassiv des Antiatlas entstehen hat lassen. Jene vierte Gebirgskette Marokkos, die sich im Süden des Landes von Nordost nach Südwest erstreckt. Aus dieser urgewaltigen Liaison stammen auch die vom Wind rund geschliffenen Granitblöcke, die das Landschaftsbild um die Stadt Tafraoute so besonders machen. Viele Touristen kommen ja hierher, um die bunten Steine des belgischen Künstlers Jean Vèrame zu bestaunen. Er hat 1984 hier Tonnen von blauer und rosa Farbe aufgebracht, um die Ebene, sagen wir mal, künstlerisch zu verändern. Die Farben sind schon etwas verblasst und stören auch nicht wirklich, wie wir finden. Es sind nur wenige, und die Natürlichkeit überwiegt.
Wie ein Sack eben mal ausgeworfener riesiger Murmelsteine liegen sie da, sandsteinfarben und am späten Nachmittag, wenn die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwindet, beginnen sie wahrlich zu glühen. Wir kennen diese Ecke bereits und doch haben wir sie auf dieser Reise neu entdeckt. Es ist wohl so, dass unsere Wahrnehmung immer selektiv ist. Abhängig davon, wie es uns geht, mit wem wir einen Ort besuchen, ob gerade mal Wetterkapriolen unser Gemüt strapazieren und wohl noch viele andere Einflüsse prägen den Eindruck, den man gewinnt. Der Standpunkt legt den Blickwinkel fest und unsere Wahrnehmung formt daraus ein Bild. War dieses Tal der Bunten Steine schon vorher ein beeindruckender Platz, so hat er dieses Mal etwas wahrlich Magisches. Zwei Tage stehen wir hoch oben am Rand des Kessels und überblicken die Ebene. Man erkennt ganz deutlich die Kraft des beginnenden Frühjahrs - grüne Büsche, am Boden ein grüner Flaum, der fast wie eine Wiese anmutet und dazwischen tapfere, gelbe und lila Blüten. Wenn man über die Ebene spaziert, trägt der Wind den feinen Duft der schon beinahe abgeblühten Ginsterbüsche an unsere Nasen und lässt uns an heimatlich, mediterranes Klima denken, obwohl wir uns auf 1200m Seehöhe befinden. Es ist tagsüber angenehm warm, abends allerdings genießen wir die Wärme des Lagerfeuers, das uns dann selig in die Nacht begleitet.
Und es hat wohl noch einen Grund, der uns so lange – nun nämlich schon den fünften Tag – hier verweilen lässt: es ist die Gesellschaft! Wenn man mit so einem Gefährt reist, ganz klar, dann liebt man die Individualität, man sucht quasi nach Möglichkeiten, fern der Masse sein kleines Paradies zu finden. Aber wenn man auf diesem Weg dann für eine gewisse Strecke Mitreisende findet, die ähnlich denken und ähnliche Bedürfnisse haben, dann füllt dies genau jene Lücke an fehlender Kommunikation, die sich sonst auftun kann, wenn man nur alleine unterwegs ist. WIR also lieben dieses Aufeinandertreffen Gleichgesinnter und freuen uns besonders dieser Tage über die Gesellschaft von Susanne, Ulrich, Brigitte und Wolfgang.
Unser zweiter Standplatz im Tal der Steingestalten könnte nicht idyllischer sein. Eine ebene Fläche, zwischen Steinen, die groß genug sind, als dass sie Schatten spenden, ein wunderschöner, greisenhafter Baum, der zwei Hängematten Heimat bietet und rund um uns geschichtete Granite, die die ein magisches Suchbild verborgener Steingestalten bilden. Der Seehund auf seinem Felsen, das wallende Gewand einer Madonnenstatue, der Elefant mit Rüssel, dem ein Zahn fehlt, das Kamel mit Schmollmund …. Alle sind sie hier vertreten. Man muss bloß hinsehen.
Ja, und so kommt es, dass wir noch die eine oder andere Einkaufsfahrt in den Ort Tafraoute einlegen, uns mit den hier typischen, handgefertigten Babuschen (Lederschuhen) und vor allem aber mit Grillsteaks eindecken, um einfach noch einen Tag dranzuhängen und mal richtig Urlaub zu machen.