Tajineberge und leuchtende Oasen
Gedanken in der Stille
Ich sitze im Schatten, den Styros liebenswerter Weise schon für mich bereit hält und lasse die letzten Tage Revue passieren. Kurz, sie waren weit mehr als nur gut! Wir haben den Wind ausgesessen, eben diese Zeit gemeinsam mit Freunden am Camping Bab Rimal genussvoll, zugegeben auch mal ganz luxuriös am Pool verbracht, über alte Erlebnisse und neue Pläne geplaudert, sind endlich auf Willi und Rosi mit ihrem Womo gestoßen und fahren jetzt gemeinsam mit Ulrich und Susanne aus der Schweiz in die Steinwüste südlich von Foum Zguid. One Zweifel, die Wüste, die hat schon was. Wenn dann aber mitten in der Wüste auch noch grandiose Steinformationen ihren Platz gefunden haben, dann toppt dies die Vorstellung erheblich und das Herz des Reisenden springt eine Kapriole nach der anderen. Der Weg dorthin ist relativ einfach. Wir machen Styros` Reifenbreite holperpistenfit und starten unseren Trekk abseits der Hauptstraße nach Süden. Die Schüttelei hält sich in Grenzen und bald schon wird es sandiger und der Motor muss sich gehörig anstrengen, um Vortrieb zu bekommen. Na gut, also doch noch ein bisschen mehr Luft raus. Uiiii, und schon geht es wie auf flockigem Neuschnee pulverweich dahin – richtig schönes Fahren. Zwischen den Grasbüschen hindurch, ab und zu gilt es ein Oued zu überqueren oder auch eine Stelle zu umfahren, aber alles keine Hexerei. Zu unserer Rechten sehen wir bereits die hoch aufragenden Gebirgszüge des Jebel Bani. Beeindruckend stehen die Gesteinsmassen da, wie stumme aber mächtige Zeugen ihrer kraftvollen Gegenspieler Wind und Wetter. Wie die aufgebogenen Zacken eines Sägeblattes erstrecken sich die Sägezahnfelsen (O-Ton Christian) weiter gen Südwesten und vor uns bauen sich prächtige Tajinfelsen auf. Dazwischen tiefe Einschnitte, die es zu umfahren gilt, bis man inmitten dieser Zeitzeugen auf einem Plateau landet und nur noch staunt. Da treffen sich vier LKWs irgendwo in Marokko …. Ja, und auch das ist das Wunderbare am Reisen – Gleichgesinnte zu treffen und mit ihnen schöne, unterhaltsame Stunden am Lagerfeuer zu verbringen. Mark und Doro (so schön, dass es tatsächlich mal geklappt hat), Frank und Gabi und wir vier genießen gemeinsam den Abend. Der Tag war herrlich, für leiblichen Genuss ist reichlich gesorgt und über uns ein abermals grandioser Sternenhimmel. Natürlich, neue Reisende zu treffen, bedeutet immer auch, all die schönen, alten Geschichten nochmal erzählen zu dürfen (!) – juhuu! Reisende und ihre Erlebnisse, ein unerschöpfliches, manchmal unergründliches Buch an Geschichten. Das sind so Momente, wo man spüren kann, dass noch nicht alles auf Kurzformulierungen à là whatsapp oder SMS reduziert wurde, nein, da gibt es noch richtige Geschichtenerzähler, ausführlich, spannend, zum Biegen komisch, alles ist vorhanden. Jeder hat seine und alle sind sie wahr und bedeutsam. Daneben erfährt man viel Neues, Interessantes und tauscht sich aus – welch eine Bereicherung.
Man verabschiedet sich am nächsten Tag von einander, hat so den Gedanken, dass es irgendwann, irgendwo bestimmt ein Wiedersehen geben wird und wir rollen zu Viert weiter. Zurück über den Sand, dann über die Holperpiste, nochmal vorbei an den Sägeblattfelsen, am Ende wieder Luft in die Reifen gepumpt und dann führt uns das mittlerweile perfekte schwarze Asphaltband wieder ein Stück weiter nach Westen.
Ein glücklicher Zufall, eine kurze Bemerkung in einem Reiseführer, die es letztlich dann gar nicht gewesen ist, oder einfach ein Wink des Reiseschicksals führt dazu, dass es uns ins Oued Tissint verschlägt. Und da sitze ich jetzt, bereits den zweiten Tag, in einem Flussbett. Nein, wir sind nicht gestrandet, nicht aufgelaufen, wir haben uns einfach auf Entdeckungsreise begeben. Haben die Hauptroute verlassen, sind ein paarmal hin und her, quer und zurück gekurvt – und plötzlich war sie da. Diese herrliche Palmenoase mit wasserführendem Bach in einem riesigen Schotterbett, umrahmt von einer spektakulären Felskulisse. Das, was die Erosion übrig gelassen hat, lässt einen glauben, man wäre in einem Seitental des Monument Valley. Bizarre Kegel, ausgewaschen von Wasser und Wind. Manche wie Sandkuchen von begabten Kinderhände aneinandergereiht, manche wie Pilze, die an ihrem Fußende riesige Krater freigeben, ihre Kappen hingegen überdimensional erscheinen lassen. Dazwischen das breite Tal, ein Meer aus Schotter, das an manchen Stellen puderfeinen Sand zurück ließ, in dem dornige Büsche ihr Auslangen finden konnten. Einfach grandios!
Die Sonne wird bald irgendwo hinter mir untergehen und taucht alles vor mir in warmes rosarotes Licht. Meine allerliebste Zeit! Die Hitze des Tages hat sich bereits verabschiedet, die Kühle des Abends ist noch nicht da – alles scheint in friedlicher Harmonie zu verschmelzen und gibt der Stille ihren nötigen Freiraum. Ich blicke auf meine Uhr und mir kommt so ein Gedanke… Ich stelle mir vor, dass meine Uhr keine Zeiger mehr besäße, statt dessen nur drei Buchstaben: N-O-W, ganz richtig „now“, also „jetzt“ – als einzig wichtige, weil einzig bedeutsame, Zeiteinheit. Ich blicke um mich, und empfinde den Gedanken als unglaublich tröstlich. Ich weiß schon, auch ich lebe in klar definierten Zeiteinheiten – die Fahrt in die Stadt dauert 45 Min, eine Therapieeinheit ebenfalls, unsere Frühstückseier kochen 5 Minuten und für einen oberflächlich Hausputz benötige ich 4 Stunden. Aber eben jetzt zählt das alles nicht, Jetztzeit ist nicht durch Begrenzung definiert – sie IST einfach. Ich werde mein Tablet bald zur Seite legen, weiter auf die im Abendrot glühende Bergkette blicken und meine Gedanken mit der untergehenden Sonne mitfliegen lassen. Nicht fort, nur eben ein Stück mit ihr mit – weil es ist NOW, also Jetztzeit, alles im selben Moment und einfach da!