Gulliver´s Spielwiese
Soweit das Auge reicht vorerst nur trostlose Ebene, graubraunes Gestein, einfach nichts das das Auge erfreuen würde. Wir sind mitten am Filmset gelandet. Nein, nicht über die Schönheiten Marokkos, „The hills have eyes“ – Zombiegrauen irgendwo im Mittelwesten der USA, kurzerhand mal hierher verlegt. Hier beginnt das Grauen, „Gas Haven – Last Stop“ – es wundert nicht, dass hier gedreht wurde. So nichtssagend wie diese Ecke, war wohl auch der Film. Aber es ist wirklich nur ein kurzer Streckenabschnitt und schon beginnt das nächste Highlight, die Strecke nach Tafraout über den Antiatlas.
Wir verlassen also den Hohen Atlas langsam und finden einen genialen Übernachtungsplatz abseits der Hauptstraße ein Stück die Piste entlang, direkt auf zwei markante Bergformationen zu. Wir befinden uns plötzlich inmitten einer riesigen Kultstätte – so unsere Interpretation. Und da auch im Reiseführer nichts weiter darüber erwähnt wird, sind wir überzeugt, sie soeben entdeckt zu haben. Die beiden Felsformationen sind wie ein Schweizer Käse ausgehölt und rund herum befinden sich mehrere kreisrunde Formationen, alles von Menschenhand geformt. Also entweder wurde dort geopfert oder sie wurden als Landeplatz für „jemanden“ gebaut. Alles sehr mystisch! Aufgeladen von der Energie der Berge geht es weiter Richtung Süden, der Wärme entgegen.
Die Straße wurde vom letzten Unwetter ziemlich zerstört, einige Streckenabschnitte waren bis vor Kurzem überhaupt nicht befahrbar und manche stellen auch heute noch ein Hindernis für manche Fahrzeuge dar – nicht für Styros. Wieder leisten die marokkanischen Straßenarbeiter gute Dienste, aber Manches braucht hier einfach lange. So müssen wir einige noch immer völlig zerstörte Brücken über Schotter seitlich umfahren. So rasch kann sich hier der Zeitplan ändern, den man sich vielleicht vorher penibel zurechtgelegt hat – in Marokko kann man das nie so genau sagen und man sollte immer ein bisschen Reserve mit eingeplant haben. Also brauchen wir eben ein bisschen länger, es macht uns nichts aus.
Die Landschaft wird ein bisschen lieblicher, es gibt viel Landwirtschaft und wird demnach viel bewässert. Den schroffen Berghängen hat man Terrassengärten abgerungen und auch jetzt gedeiht dort noch so einiges. Man merkt aber, dass der Winter naht. Vor allem Frauen bringen in sichtlich schweren Säcken alles Mögliche von den Feldern in ihre Häuser. Und es sind eigentlich immer die Frauen, die man richtig schwer tragen sieht. Alle traditionell gekleidet, hier in ihren schwarzen bestickten Umhängen, und verschleiert. Die Anzahl der typischen Lehmbauten wird geringer, wir sehen mehr und mehr jener für den Antiatlas typischen rosagetünchten Steinhäuser. Die größeren haben hohe Mauern rundum, alles bleibt im Verborgenen und erinnert mich sehr an den Oman. Ich habe den Eindruck, alles ist hier sauberer, irgendwie aufgeräumter. Eine Gegend die ich schon im Vorjahr sehr geschätzt habe.
Ein kurzer Abstecher zu Marokkos größter noch vorhandener Speicherburg, zum Agadir Tasguent, unterbricht unsere Fahrt. Man sieht noch gut die angeblich 326 Speicherkammern mit den schön geschnitzten und tlw. bemalten Türen. Hier konnten die Dorfbewohner früher ihr ganzes Hab und Gut unterbringen, daneben gab es Stallungen, eine Zisterne, viele Innenhöfe und sogar eine Moschee – ein Schutzbau im Kriegsfall für die Bevölkerung.
Unser weiterer Weg ist gesäumt von Mandelbäumen und vielen Oasengärten, umrahmt von der fantastischen Bergwelt aus bizarren Granitfelsformationen, die im Abendlicht rosafarben schimmern. Die Oasenstadt Tafraoute versorgt uns wieder mit allem was wir brauchen – Obst, Gemüse, Joghurt und frisches Baguette – was will man mehr, die nächsten Tage sind gerettet. Ich mag diese Granitfelslandschaft hier besonders gerne. Die Dörfer kleben nur so an den Berghängen, unten im Tal nährt Wasser die Dattelhaine, und gleich um Tafraoute scheint Gulliver seinen Murmelsack ausgelehrt zu haben. Nirgends sonst sieht man diese glatten runden Felsbrocken, große wie kleine, einzeln oder formiert zu allerhand Figuren. So gibt es auch den Löwenkopf, den Napoleonshut und spätestens nach dem 3. Bier meint man ja in allem eine Beutelratte zu sehen….. Ein beliebtes Spiel für langweilige Nachmittage ist „ich seh etwas was du nicht siehst“…. Aber nachdem diese vielen Fotomotive Fadesse erst gar nicht aufkommen lassen, hat auch niemand mit mir gespielt. Die Fantasie wird auf jeden Fall angeregt und wurde durch den belgischen Maler Verame noch beflügelt, der in den 80er Jahren mal kurzerhand 20.000 kg Farbe über die Steine goss. Aber auf jeden Fall ein perfekter lagerfeuertauglicher Standplatz.