Bunte Berge im hohen Atlas
Wir fahren eine der schönsten Strecken im Hohen Atlas von Ait Benhaddou nach Telouet. Die alten Lehmdörfer thronen auf ihren Hügeln, im nächsten Moment verschwinden sie jedoch fast in der Landschaft, aufgesogen vom Rotbraun des Gesteins rund um sie. Nur die weiß verzierten Türme der Moscheen blitzen im Sonnenlicht hervor. Die einzigen Farbtupfer sind die bunten Türen ihrer Häuser oder die Wäsche, die auf dem flachen Hausdach zum Trocknen aufgehängt ist. Wir kennen die Straße auch schon aus dem Vorjahr, diesmal nehmen wir uns aber etwas mehr Zeit dafür. Das Wetter ist voll auf unserer Seite, die morgendlichen Wolkenschleier verziehen sich rasch und ein stahlblauer Himmel begleitet uns auf unserer Fahrt. Die Straße ist gut, man hat sie dem Gebirge förmlich abgerungen und sie wird ständig verbessert und wiederhergestellt, wenn Teile wieder mal den Regenmassen Tribut zollen mussten. Man kann ruhig sagen, die Marokkaner sind sehr um ihre Infrastruktur bemüht, sehr rasch wird versucht Schäden wieder auszubessern. Manchmal wundern wir uns sogar, dass in diese abgelegenen Dörfer so gute Straßen führen, wo doch der Individualverkehr verschwindend gering ist. Besonders hier ist der Esel immer noch eines der Haupttransportmittel und der braucht bekanntlich keinen Asphalt. Die Pläne scheinen demnach revolutionär zu sein was die Entwicklung des Landes betrifft. Auch in den Dörfern wird viel gebaut, die alten Lehmbauten werden nicht weiter gepflegt, was irgendwie auch schade ist, sie werden der Moderne geopfert. Wir sind froh, dass wir noch etwas vom alten Charme der Region erhaschen können. Aber natürlich ist es verständlich, dass die Menschen im Ziegel- und Betonbau ihre Zukunft sehen. König Hassam VI ist hier sehr ambitioniert und wenn immer die Rede auf ihn kommt, hört man von der Bevölkerung nur Gutes. Anscheinend macht er seinen Job ganz gut.
So schrauben wir uns also viele Serpentinen rauf in die Berge und die Landschaft bezaubert durch ihr buntes Farbenspiel je weiter wir nach oben kommen. Das sonst fast etwas eintönige Rotbraun der Berge hat hier seine buntesten Kleider an. Schattierungen aus Rosa, Rost und Braun wechseln mit sanften Grüntönen. Dazwischen das richtig saftige Grün der Oasen entlang der Oueds. Und der Schnee auf den Gipfeln des Hohen Atlas setzt dem Ganzen ein echtes Sahnehäubchen auf – einfach traumhaft schön.
Auf unserem Weg liegen die wirklich schöne Kasbah Tamdakth und auch Kasbah Telouet. Letztere ließ der exzentrische Pascha Thami al-Glaoui erst Anfang des 20. Jhd. errichten. Von außen sieht man dem mächtigen Bau gar nicht an, welcher Prunk sich im Inneren verbarg, doch die vielen Stuckverzierungen und Mosaiken lassen den maurischen Stil dieses protzigen Baues deutlich erkennen. Trotz allem konnte El-Glaoui die Unabhängigkeitsbewegung König Mohameds V nicht aufhalten.
Weit entfernt vom Reichtum des Paschas leben die Arbeiter der Salzmiene, die es hoch oben in den Bergen gibt. Mühsam werden Gesteinsbrocken aus dem Fels geschlagen und von dort ins Tal transportiert. Ein knochenharter Job, und hier wissen wir, dass unsere mitgebrachten Kleider und Schuhe bei den beiden Arbeitern richtig ankommen, hier fühlt es sich richtig an.
In Telouet befinden wir uns bereits auf rund 2000 m und wenn auch tagsüber noch angenehm warm, so lässt uns abends nur noch unsere Feuerstelle draußen verweilen. Nur gut, dass Christian anstatt des Motorrades eine Fuhre Holz mitgenommen hat. Die beschert uns nun noch ein paar angenehme Abendstimmungen.
Bleibt unser Styros mal irgendwo abgelegen am Dorfrand oder auch irgendwo in der Landschaft stehen, dann dauert es natürlich nicht lange und wir sind umringt von einer Schar Kinder. Manchmal da dachten wir – ja wünschten es uns vielleicht sogar – wir hätten ein ruhiges Plätzchen gefunden. Doch weit gefehlt, wie aus dem Nichts scheinen sie plötzlich aus dem Boden zu wachsen. Und wenn die „Vorhut“ mal da ist, dann folgt die Kavallerie verbindlich nach, von den umliegenden Hügeln schwingt man sich auf das klapprige Fahrrad, kleine Füßchen laufen von überall her, und auf geht`s zum „Touri-Schauen“. … und … irgendwas ergattern. Da beginnt es dann für uns schwierig zu werden, wie machen wir es nur? Kleine Geschenke? Ja oder Nein? Wir haben nie genug, das geht gar nicht bei dieser Nachfrage. Wir haben diesmal ziemlich viel mitgenommen an Kinderkleidern, an Schuhen und eben auch noch so einigen Kleinigkeiten. Es ist immer eine Gradwanderung, und manchmal wird es uns auch zu viel. Auf unserem letzen Übernachtungsplatz, als ich schließlich auch meinen Campingsessel mit der kleinen Sarah teilte, sie dann alle zu einer gemeinsamen Zeichnung einlud, liefen wir aber bald Gefahr, dass sie auch beim Essen direkt neben unserem Salatteller verweilen würden. Überall an mir zupfelten kleine Kinderhände rum. Da griff Christian zu einem kleinen Kunstgriff - er spannte unsere Wäscheleine als Respektsabstand zu uns. Es hat funktioniert. Nur dass wir jetzt richtig im „Käfig“ saßen und von gut 20 Kindern begutachtet wurden! Zwischen „madam, une stylo? Ou une bonbon“, bis zu Kunststücken vor unserer Wäscheleine mit denen sie unsere Aufmerksamkeit erreichen wollten, blieb nichts unversucht. Man weiß ja ohnedies, Kinder haben den längeren Atem, sie haben nicht aufgegeben ….Wir schon, wir räumten das Feld und gingen ins Auto. Tja, und die Wäscheleine haben die Kerle uns in der Nacht dann noch geklaut – nicht die feine Art, nachdem wir wirklich tief in unsere Geschenkekiste gegriffen hatten. Also haben wir es doch nicht richtig gemacht?! Es gibt Fragen auf die es keine Antwort gibt, und auf Reisen bleiben einfach manche offen, zu fern ist uns diese Welt am Ende ja doch immer.