Fes - orientalische Träume
Der Tod meines Vaters hat mich jäh aus meinen orientalischen Träumen gerissen. Wenngleich es die Sorgen über seinen Gesundheitszustand auch schon vorher gab, so geschah dieser letzte endgültige Schritt dennoch unerwartet rasch und hat mich tief getroffen. Doch es sind diese Schritte im Leben, die jeder von uns gehen muss – die die gehen und all jene, die dabei zurück bleiben. In diesem Moment, da ich diese Zeilen schreibe, merke ich, wie notwendig das Trauern ist. Die Geschehnisse des Alltags lenken mich zwar ab, was gut ist, doch der Prozess des sich Verabschiedens wird dadurch nicht wirklich kürzer, all das braucht seine Zeit. So begleiten mich nun in diesen ersten Tagen meiner Reise ganz viele Erinnerungen, vor allem aus meiner Kindheit, die mir Papa immer wieder näher bringen.
Doch nun bin ich wieder hier, in diesem für mich ganz neuen Land. Christian hat unseren Styros gut nach Tanger verschifft und weiter nach Fes gebracht. Während ich eine ziemlich lange Anreise hatte, weil wir in der Eile wohl nicht gut genug recherchiert hatten, konnte Christian Fes schon einen Tag vor meiner Ankunft erkunden. So konnte ich mich an seiner Seite einfach treiben lassen – so war es am Besten für mich.
Fes ist die älteste der vier Königsstädte und kulturelles wie auch spirituelles Zentrum des Landes. Nach der Unabhängigkeitserklärung zogen die meisten wohlhabenden Fasis (die Bewohner von Fes) in moderne Häuser der Neustadt. Zurück blieben ihre prachtvollen Wohnhäuser in der Medina, die damit dem Verfall preisgegeben wurden. Die arme Landbevölkerung strömte in die Altstadt und die vormals edlen mit Mosaiken, Zedernholz und Stuckdekor ausgestatteten Wohnhäuser, wurden daraufhin von mehreren Familien bewohnt. Die finanziellen Mittel zum Erhalt dieser Stadthäuser fehlten, die Medina degradierte sozial und baulich. Auch heute noch lassen die sanitären Anlagen zu wünschen übrig und die vielen Stützbalken zwischen den Häusern zeugen davon, dass hier noch viel zu tun wäre, um dieses Juwel zu erhalten. Mit Hilfe der Weltbank versucht man seit 1998 die Infrastruktur der Medina zu verbessern und die Armut zu vermindern. Einige der Stadtpaläste wurden zu Teppichhäusern, Museen und Restaurants umgewandelt und so vor dem Verfall bewahrt. Immer mehr Ausländer, aber hier in Fes vor allem auch reiche Marokkaner beteiligen sich an der Stadterneuerung.
Sich in dieser größten Medina zu orientieren gestaltet sich nicht ganz einfach, und leicht kann man in den verwinkelten Gassen verloren gehen. Am Vortag wäre dies Christian beinahe passiert. Bis spät am Abend verbrachte er in diesen Gassen, zumal er mich ja erst um 22.00 vom Bahnhof abholen konnte. Und ganz plötzlich schienen alle ihre Gehsteige hochgeklappt zu haben und niemand war noch zu sehen, den man nach dem Weg hätte fragen können. Da er letztlich aber am Bahnsteig stand, hat er es wohl geschafft. Juhuu! Die spärliche Beschilderung hilft zwar ein bisschen, doch bleibt es nicht aus, immer wieder nach dem Weg zu fragen. Wir haben die Marokkaner als überaus hilfsbereite und liebenswerte Menschen erfahren und so macht es auch Spaß immer wieder mit ihnen in Kontakt zu treten. Ich bemerke sehr rasch, dass mein stümperhaftes Französisch bei jedem neuerlichen Gesprächsversuch an seine Grenzen stößt, aber ich gebe nicht auf und hoffe auf Besserung in den nächsten Wochen. Das viel zitierte Schleppertum in den Gassen der Medina, die Tatsache, dass einem jeder was verkaufen möchte und alle sich wie Klebstoff an die Fersen des Touristen kleben, erweist sich als deutlich übertrieben. Es ist nicht halb so schlimm! Wir können uns eigentlich sehr einfach vor zu viel Aufdringlichkeit wehren und recht gemütlich „unseren Weg“ gehen. Im Allgemeinen sind die Menschen sehr höflich, hilfsbereit und zugänglich und immer bereit ein paar Worte mit uns zu wechseln ohne aufdringlich zu sein.
Hauptattraktion ist sicherlich eine der großen Gerbereien der Stadt. Hier werden in schwerster Handarbeit Leder und Felle gegerbt und gefärbt. In unzähligen Betonbottichen wird enthaart, gereinigt, gekalkt und dann gefärbt – mit Safran, Indigo und anderen Naturfarben. Die Männer stehen bis zum Bauch in dieser Brühe und es stinkt ganz grauenvoll nach Ammoniak. Dem geruchsverwöhnten Touristen wird ein Büschel frischer Minzblätter in die Hand gedrückt, damit die Nervenzellen unserer Nasen nicht kollabieren. Uns wird immer wieder versichert, dass diese Arbeit keinen Einfluss auf den Gesundheitszustand der Arbeiter hätte. Ich kann an deren Haut zwar tatsächlich keine krankhaften Veränderungen erkennen, ganz glauben kann ich es aber dennoch nicht. Auf jeden Fall ist die herausragende Qualität marokkanischer Lederwaren bereits seit dem 12. Jhd. bekannt.
Wir besichtigen eine der wunderschön renovierten Koranschulen - die Medersa Cherratine. Die prachtvollen Mosaike und Holzschnitzereien wurden aufwendig restauriert und sind sehr sehenswert. Auch kann man die winzigen Kammern besichtigen, in denen die jungen Theologieschüler in einfachsten Verhältnissen ihren Studien nachgehen.
Immer wieder braucht es eine Pause und wir genießen die einfachen Speisen an den Essensständen, frisches Joghurt oder einen Kaffee. Uns gefällt`s und wir sind mittendrin – im marokkanischen Alltag.