Steinerne Riesen und salzige Seen im Sandmeer

Seit nun fast einer Woche gibt es kein Internet mehr in diesem Land. Es gab Unruhen und es gab Tote. Wir hier, am Rande der Wüste Lut, merken nichts von alledem. Man verbietet uns, in die Wüste zu fahren, zwingt uns quasi einen Guide auf. Hier ist es wieder, dieses löchrige Gefühl, einfach nicht selbstbestimmt agieren zu können - in diesem ambivalenten Land. Aber wir sind zumindest ein gutes Reiseteam, das gibt Sicherheit. Und das brauchen wir auch, weil wir nicht sicher sind, ob wir unseren Reifen so wirklich vertrauen können. Nach Kerman, in die nächstgrößere Stadt, sind es schon gute 120 km, wir sind also jetzt schon ziemlich im Abseits! Die ersten „Yardangs“, oder Kaluts, wie man sie auf Persisch nennt, bekommen wir schon hier zu sehen. Aber wir wollen noch viel tiefer hinein ins Sandmeer, zu jenen steinernen Meisterwerken, die die Erosion geschaffen hat. Am Rande der Dasht-e Lut erleben wir eine absolute Besonderheit. Es hat heuer im Frühjahr Unmengen geregnet und mehrere Seen (!) entstehen lassen – quasi mitten in der Wüste. Die Straße war eine Zeitlang überhaupt nicht befahrbar. Mittlerweile gibt es eine kleine Umfahrung und der Damm, auf dem die Straße gebaut ist, wurde wieder angeschoben. Uns präsentiert sich ein absolut surreales Bild. Kristallklare Salzseen inmitten unwirtlicher Wüstenlandschaft. Die Ränder blütenweiß von den Salzablagerungen. Wir sind vorsichtig mit unseren schweren LKWs, fahren nicht zu nahe ans Wasser, spazieren lieber zu Fuß rund um die steinernen Riesen oder kraxeln nach oben. Aber auch unser Gewicht kann die magische Belastungsgrenze schon mal übersteigen und die Salzkruste einbrechen lassen. Dann steht man ganz rasch bis zum Knöchel im Lehmgatsch – oder vielmehr Christian steht dortJ. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, welche Sauerei es bedeutet, wenn Styros hier einbrechen würde. Die Stollenreifen wieder aus dem Lehmboden zu befreien, wäre Arbeit für Tage! Wir wollen hier nicht zur Legende werden, halten uns also fern!

 

Am nächsten Tag fahren wir zu viert los – drei LKWs und unser Guide (+ Reisefreund) im Pickup. Wer Besonderes erleben will, muss es sich verdienen. Wie wahr! Die ersten 40 km holpern wir über die eintönigste Kiesebene, über die ich je gefahren bin!!! Grau, soweit das Auge reicht und unter uns nur Bodenwelle neben Bodenwelle. Der Tacho schwankt zwischen 10-20 km/h. Ich erspare jedem Leser Christians verbale Eruptionen. Und dann, ganz plötzlich, aus der Ferne ließ sich die Veränderung gar nicht wahrnehmen, eine kleine Absenkung und eine Ebene öffnet sich in ein Tal, gibt endlich die ersehnte Sandwüste frei. Grau wandelt sich in Braun und die ersten Kaluts zeigen ihre Schönheit. „Land“ in Sicht, am Ende des holprigen Weges!!! Ein echtes Aufatmen.

 

Wir nutzen die Pause zu einem Reifencheck und die Freude hält sich in Grenzen. Der geflickte Reifen hat sich zwar nicht verändert, aber zwei weitere Reifen zeigen Risse, die einer Beobachtung bedürfen. Alles noch nicht sehr tief, aber wird es so bleiben? Die Freunde beruhigen Christian immer wieder, dass wir genügend backups hätten, doch die Sorge bleibt… Abgesehen von diesen Bedenken gleichen die nächsten Tage einer Reise auf einen anderen Planeten. So fern allem Gewohnten, so fremd, so unnatürlich schön! 

Unter unsere Stollenreifen schiebt sich weicher Sand. Mal sind Abschnitte ganz leicht zu überwinden und wir gleiten wie über Watte. Manchmal braucht es echte Pferdestärken, um unsere schweren Karossen eine Düne nach oben zu schieben. Nicht den richtigen Gang im richtigen Moment erwischt zu haben, bedeutet manchmal ein plötzliches Aus und der Motor riegelt abrupt ab. Dann heißt es kurz zurück rollen und es nochmals versuchen. Das kann passieren und man hat wieder was gelernt!  Ein anderes Mal bleibt nichts anderes übrig, als den Luftdruck noch weiter zu senken. Aber damit sind wir zurückhaltend, da wir unsere Reifen nicht noch mehr belasten wollen. Wir gleichen die Situation lieber mit mehr Leistung und Drehmoment aus – das haben wir ja. So geht es dahin, durchs Sandmeer der Wüste Lut. Diese Wüste ist im Sommer der heißesten Orte der Erde. Bodenmessungen per Satellit ergaben bis zu 70 Grad Celsius. Es wurden auch keine Funde gemacht, die irgendeine frühe Besiedelung bezeugen. Nichts deutet auf menschliches Leben in der Lut hin. Nur einmal, da kreuzen wir die Route eines Wüstenfuchses. Und abends am Lagerfeuer, da besucht er uns wieder. Es ist Winter in der Lut und in diesen Tagen so gar nicht übertrieben heiß – viel eher kühl, sobald die Sonne am Horizont verschwindet. Und ohne Lagerfeuer ist ein Verweilen außerhalb unserer kleinen vierrädrigen Behausungen nicht sehr einladend. Die Tage hier machen aber wirklich alle Mühen wett – es ist einfach nur traumhaft. Eine vergleichbare Wüstenlandschaft haben wir noch nie gesehen. Diese Naturschönheit überwältigt uns jeden Tag aufs Neue. Riesige Weiten tun sich auf. Lassen erahnen, dass hier mal Wasser gewesen sein muss. Ein Urmeer, das uns seine Überreste aus Kalkgestein vermacht hat. Das Meiste ist zu feinem Sand verrieben. Und dazwischen die Kaluts, jene zu Stein formierte Riesen, die exakt die Richtung des Windes über diese weiten Ebenen nachzeichnen. Wir umschiffen sie quasi über das Sandmeer. Mal gleichen sie einem Dom, einer Kathedrale, mal einem ägyptischen Tempel oder dem griechischen Pantheon. Dann erinnern sie mich wieder an die alten Khmer-Tempel in Angkor Wat, lassen auf jeden Fall immer an etwas Monumentales denken. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, die Realität beflügelt ganz von alleine und lässt mich wahrnehmen, was so nicht ist und doch so sein könnte, weil es so danach aussieht. Wir sliden durch die Ebene der Kathedralen, übernachten an einem wunderbaren Stellplatz mitten in den Sterndünen und schlängeln uns quasi zwischen den steinernen Riesen hindurch. Immer ist es traumhaft und immer ist es einzigartig. Eine Erfahrung, die wir sicher nie vergessen werden.