Dort,

wo der Wind kein Zuhause mehr hat

 

Dash`t-e Kavier

 

Wir haben Tag 60 unserer Reise. Es gab gute und weniger gute Tage, oft war alles federleicht, dann auch wieder mal schwer und der Reisealltag kostete Kraft. Das ist normal, Reisen ist das ganz normale Leben, nur eben abseits von Zuhause. Diese Tatsache macht es manchmal einfacher und manchmal eben auch nicht.

 

Wir stehen am Kar Shahi, irgendwo bei 33 Grad Nord und 52 Grad West am Rande der Dasht e Kavier südlich von Teheran. Die Kavier ist eine der beiden großen zusammenhängenden Wüsten Irans. Primär eine Salz- und Steinwüste. Im Moment stehen wir hier zu fünft. Fünf große LKWs, auf einer Reise durch ein fantastisches Land. Wir sind Freunde, die sich gefunden haben, die wir uns zum Teil schon zuvor kannten und verabredet haben, zum Teil hat es sich einfach ergeben. Zu dritt fahren wir schon eine ganze Weile miteinander, trennen uns von Zeit zu Zeit und finden wieder zu einander. Eine ganz wunderbare Symbiose. Die Männer sorgen dafür, dass uns nichts passiert und wir sind der emotionale Kitt in manch diffiziler Situation. Jeder darf sich auf seiner Spielwiese ausbreiten, darf beisteuern, was er kann und weiß. Dankbarkeit und Spaß auf voller Linie. Und heute ist einfach ein Ruhetag – genau das, was jeder von uns braucht und vielleicht schon ein bisschen zu lange vor sich hergeschoben hat. Ich nutze den Tag, um unser Haus wieder in Ordnung zu bringen und auch meine Gedanken zu ordnen. Gegen Nachmittag spaziere ich los….

 

Unser Standplatz ist vor einer grandiosen Lehmburg aus der zarathustrischen Zeit. Bald entschwindet sie in den Hintergrund, vor mir schier unendliche Weite. Ein Meer kleiner Gesteinsbrocken, so als ob Wind und Wetter erst die halbe Arbeit geleistet und noch nicht alles zu Sand verrieben hätten, breitet sich vor mir aus. Nur ganz genügsame Dornenbüsche finden hier noch ihre Lebensgrundlage. Ein Rascheln neben meinen Füßen unterbricht die Stille. Eine kleine Eidechse wird zu meinem Begleiter.

 

Wenn man so auf Reise ist, dann bestimmen einerseits ganz nüchterne Dinge den Tagesablauf. Welche Strecke wählen wir wohin? Haben  wir genug Diesel und Wasser in den Tanks? Benötigen wir Lebensmittel? Funktioniert das Internet? Wäre es wieder mal Zeit Wäsche zu waschen? Und daneben sauge ich auf, was immer diese fremde Umgebung mir so offeriert. Manchmal bloß im Vorbeifahren, dann wieder bei einer ausgiebigen Besichtigung. Und dann gibt es eben diese Momente, wie gerade eben. Alles Wichtige ist bereits erledigt, und da öffnet sich ein Zeitfenster für vielleicht noch Wichtigeres. Ich mit mir und meinen Gedanken ganz alleine! Die Bedeutung dieses Umstandes wird mir auf Reisen noch viel stärker bewusst, da wir auf so kleinem Raum leben und vor allem die Zeit ständig miteinander verbringen. Da braucht der Geist schon manches Mal ein bisschen Raum und Luft zum Atmen. Wo besser könnte dies gelingen, als in der Wüste.

 

Ich spaziere über die Steinebene, die zum Berg hin stetig ein kleines bisschen ansteigt. Sie ist immer wieder durch kleine Gräben zerfurcht, bietet sonst aber keine Besonderheiten. Die LKWs werden immer kleiner, bis sie ganz im Dunst der schon tief stehenden Sonne verschwinden. Es wird kühler und der Wind bläst fast unangenehm, sodass ich mir gerne meinen Jackenkragen tief ins Gesicht ziehe. Wir sind auf fast 1600 m Höhe und das spürt man. Das Rauschen des Windes und das Reiben meiner Schuhsohlen auf den Steinen sind die einzigen Geräusche, die ich vernehmen kann. Alles andere verschluckt die Eintönigkeit. Ein kleiner Steinwall bietet mir Schutz und ich ducke mich ganz zum Boden runter, wo mich der Wind nicht mehr erreichen kann. Dort sitze ich einfach auf einem Stein, schaue in die untergehende Sonne. und genieße die Ruhe. Das sind Momente, in denen ich mir selbst sehr nahe komme. Ich lasse die vergangenen Wochen revue passieren, schaue zurück auf eine unglaublich dichte Zeit, und fühle mich richtig wohl. Dort, im Lee hinter dem Steinwall, dort, wo der Wind kein Zuhause hat und es ganz still geworden ist, fühle ich, dass es richtig ist, was wir hier tun.