End of India
Wir waren nun knapp sieben Wochen in Indien und hatten eine gute Zeit. Alles hat perfekt funktioniert, wir haben keinen unserer „für den Fall der Fälle-Tage“ gebraucht, weil einfach keiner dieser Notfälle eingetreten ist. 5000 km anspruchsvolle Strecke und keine verschüttete Straße, kein Kratzer am Auto, unser Mahindra Skorpio hat allen Rumpelpisten zum Trotz gut bis zuletzt durchgehalten, kein Krankheitsfall, keine großen Wetterkapriolen, alle Permits haben gehalten, was uns versprochen wurde, einfach Nichts, was ernsthaft schiefgelaufen wäre. Und Vieles aufgrund Christians guter Organisation und Fahrkunst. Mittlerweile ist er perfekt im indischen Straßenverkehr angekommen und muss sich wohl erst zu Hause wieder umstellen, sprich Einige jener indischen Gepflogenheiten rasch wieder ablegen. Ja, und mit den Menschen haben wir auf ganzer Linie wirklich nur positive Erfahrungen gemacht. Man begegnete uns ausnahmslos freundlich und hilfsbereit – z.T. wirklich über Gebühr.
Die letzten drei Tage durften wir privat im Domizil einer indischen Familie verbringen – einfach so, als geladene Gäste. Fast ein bisschen beschämend, wenn ich da an unsere Zurückhaltung in Österreich denke (oder einfach nur an meine eigene eigene!). Wir lernten AJ, den Sohn des Hauses, als Tourist in Ladakh kennen, wo er uns zu sich nach Delhi eingeladen hat. Und so kam es dann auch, wir sind seiner Einladung gefolgt und durften das Leben gut situierter Inder in der Hauptstadt kennen lernen. Noch ein zusätzlicher positiver Aspekt dieser Reise. Ein ganzer Abend mit ihm und seinem kleinen Sohn in einer überdimensionalen Kidsworld. Shooting-Spiele so weit das Auge reicht – „erfahrungsreich“J. AJ zeigt uns auch das moderne Delhi, jenes abseits der Armut, jenes von Google, Facebook, Samsung usw. Glänzende Hochhäuser, randvoll mit unzähligen StartsUps. Indiens Mittelstand boomt. Aber Ja, es gibt auch noch sichtbares Elend. An der Einfahrt von Delhi, von Norden kommend, passiert man eine eigentümliche Geländeformation, einen Hügel quasi, so groß wie der Wildoner Kogel (für Graz-Kenner) – es ist eine Müllhalde! Wenn man sein Auto jeden Tag gewaschen haben möchte, dann zahlt man im Monat €6,50…im Monat(!). Das sagt schon Vieles. So funktioniert dieses Land, das ist Indien! Der Unterschied kann verstören, immer wieder! Im Grurudwara-Tempel tauchen wir noch einmal ins exotische Indien ein. Ein heiliger Ort der Sikhs, ein heiliger Teich, kostenloses Essen für alle, zwei Schulen, das billigste Diagnosezentrum weltweit, in dem Bedürftige für 50 Rupien ein MRT machen lassen können. Ein alleine von Spenden finanzierter Ort – auch das ist Indien. Trotz schon mehrmaliger Aufenthalte findet sich in dieser 30 Mio Stadt immer wieder etwas Neues. So musste diesmal dafür das Railwaymuseum herhalten – die Eisenbahn, ein so wichtiger Entwicklungsschritt für Indien.
Wir durften in sieben Wochen und 5000 km also ein sehr abwechslungsreiches Indien erleben - von den höchsten Pässen und kargen Tälern bis hin zu quirligen Märkten und bunten Tempeln. Ich habe immer wieder die Magie „meines Indiens“ gefunden, die mich so in ihren Bann zieht. Mit den Wochen gelingt es manchmal sogar den ständigen Lärm, den es überall dort gibt, wo indisches Leben stattfindet, für einige Momente auszublenden. Ohne Unterlass Gehupe, Baulärm, Stimmengewirr, kläffende Hunde….. man hört das alles, und doch auch wieder nicht. Es verrutscht ein Stück weit in den Hintergrund. Es gibt auch jene Tage, an denen das Auge den immanenten Dreck zu übersehen beginnt. Natürlich sieht man ihn, man stolpert ja quasi auf jeder Straße drüber. Aber man bewertet ihn für manche Augenblicke nicht mehr. Eine Zeitlang kann das durchaus gelingen – das sind dann die „leichten“ Momente in diesem Land. Irgendwann jedoch durchbrechen Lärm und Schmutz doch wieder die Bewusstseinsebene – und dann wird es zu viel! Und mir war Indien dieses Mal zu viel! So faszinierend es ist, in dieses unglaubliche, unbeschreibliche Land einzutauchen, so fordernd ist es auch, v.a. während so langer Zeit.
Und wenn dann alles ein bisschen schwierig zu werden beginnt, dann gewinnen auch alle persönlichen Animositäten und Befindlichkeiten unweigerlich an Bedeutung. Dann wird auch der Kitt, der uns beide auf Reisen so zusammenschweißt und all das überhaupt erst möglich macht, zu einem notwendigen und heilsames Elixier. Dort darf es dann nicht brüchig werden! Und doch ist genau das in jenen mühsamen Momenten das Schwierige. So ist das Leben an sich und erst recht das Reiseleben! Nicht immer fühlen wir gleich, nicht immer sind unsere Bedürfnisse ident. Gemeinsam gehen und trotzdem bei sich zu bleiben – keine einfache Aufgabe, dafür umso wertvoller das Ergebnis, wenn es denn gelingt! Es gab also einige Aspekte, die uns durchaus gefordert haben. Indien als Lehrmeister – vielleicht sollte ich es so sehen?!
Ob ich wieder nach Indien reisen würde? Auf jeden Fall werde ich wieder kommen – nicht gleich, aber irgendwann! Doch ich würde nicht mehr so lange bleiben wollen, die Reise-Zeit ist ein gefährlicher Gegenspieler zur Faszination dieses Landes. Lieber in kleineren Portionen genießen, damit die Magie dieses wunderbaren Indiens nicht entzaubert werden kann!