Ein Ort der Ruhe in stürmischen Zeiten
Amritsar und die größte Küche der Welt
Srinaghar – Jammu (220 km) - Amritsar (220 km)
Eine Millionenstadt in Indien mit ca. 2,8 Mio gezählten Einwohnern zum erklärten Ziel zu machen, muss schon einen bedeutsamen Grund haben. Andernfalls macht man als Selbstfahrer einen großen Bogen drumherum. Der Grund für uns ist der Goldene Tempel von Amritsar, das bedeutendste Bauwerk Indiens nach dem Taj Mahal. Wir stürzen uns also wieder mal in den ganz normalen indischen Verkehrswahnsinn. Und ehrlich, das geht alles schon sehr gut – mitschwimmen lautet die Devise, nur nicht stehen bleiben. Den Anschluss nach vorne zu verlieren, wäre fatal. Erstens vergibt man sich damit jede Möglichkeit des Weiterkommens und außerdem würde einem verlässlich hinten jemand drauffahren! Also sind auch die Regeln im Stadtverkehr durchaus simpel und klar!
Wir befinden uns im wichtigsten Heiligtum der Sikhs. Vereinfacht gesagt, ist ihr Glaube eine Mischung aus Hinduismus und Islam. Ein Eingottglaube, der mit seinem Begründer Guru Nanak ins 15. Jhd. zurück reicht. Ihm folgten neun weitere Gurus, deren Weisheiten im Grand Sahib niedergeschrieben sind. Sikhs sind äußerst tolerant, respektieren alle anderen Religionen, erheben keinerlei Alleinanspruch ihrer Lehre und leben auch genau das in dieser herrlichen Tempelanlage.
Wie in der Oper den Mantel gibt man hier zuerst seine Schuhe ab, Rückholmakerl inklusive – alles perfekt geordnet. Dafür stehen gut 20 Schalter zur Verfügung. Dann heißt es „bitte Kopfbedeckung für Frauen und Männer“, gerne auch gratis (so wie alles hier) als Leihgabe, mit den Füßen dann noch durch ein reinigendes Wasserbecken und dann steht man erst mal wie gebannt unter dem Eintrittstor! Im Amrit Sagar, dem Heiligen See, spiegelt sich der marmorgoldene Hari Mandir, der eigentliche goldene Tempel, in dem sich die heilige Schrift befindet, wider. Umrahmt wird der See von strahlend weißen Säulengängen, die das Auge im gleißenden Licht schier blenden. Wir waren an drei aneinander folgenden Tagen immer wieder dort, so sehr hat uns die Szenerie begeistert – ein Ort des Friedens. In der Vergangenheit gab es auch hier Auseinandersetzungen, Zerstörung und Aggression – jetzt scheint dieser Flecken Erde eben zur Ruhe gekommen zu sein. Amritsar liegt abseits der typischen Touristenrouten, also finden auch wenige ausländische Besucher den Weg hierher. Für jeden Sikh ist es allerdings ein Muss, zumindest einmal in seinem Leben diese heilige Stätte auf zu suchen um für gutes Karma zu bitten. Und genau dafür wird auch gebetet, meditiert und der Tempel sauber gehalten. Der Boden wird gekehrt, ständig wird aus Kübeln frisches Wasser auf den Marmor gegossen, es wird geputzt und auch wieder trocken gewischt. Die Anlage ist unglaublich gepflegt und barfuß über den geschliffenen Marmorboden zu wandeln hat alleine schon etwas Zeremonielles. Ich bin unglaublich fasziniert, wie gemächlich und ruhig es hier abläuft – wenn auch nicht ganz leise…. 24 Stunden lang werden aus den Lautsprechern die Gebetete aus dem heiligen Buch rezitiert. Aber auch das wirkt unglaublich beruhigend auf uns und wir wandeln einfach mit. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht wirklich herausgefunden habe, ist man an mir interessiert? Ich habe aufgehört zu zählen, auf wie vielen Selfies ist verewigt wurde. Aber was genau an mir so festhaltenswert ist, habe ich nicht herausgefunden. Von den blonden (und langsam grauen) Haaren schauen ja nicht viele unter dem Kopftuch hervor, die blauen Augen vielleicht? Oder die Größe? Es ist nicht überall gleich, aber im Tempel war es schon fast extrem. Manchmal hab ich mich irgendwo hingesetzt und dann hat man sich rechts und links von mir abgewechselt, um ein Foto mit mir zu machen. Man hat mir kleine Kinder in den Arm gelegt oder etwas größere, wenn sie es zu ließen, vor die Füße gesetzt. Natürlich habe ich allen Fotos zugestimmt, auch wie fotografieren sie ja gerne. Mich hat`s gefreut, dass auch ich zu ihrem Tag etwas beitragen konnte und erfreue mich weiter an den unzähligen, schönen Saris und den bunten Turbanen, die uns umkreisen.
Ja und dann gibt es dort noch den Langar - die wohl größte Freiküche der Welt. Hier hungert niemand, egal welcher Kaste, Religion oder welchem Glauben er angehört. Das Konzept wurde vor Jahrhunderten von Guru Nanak begründet und ist Teil jedes größeren Sikh-Tempels. Dieser Langar wir sucht seinesgleichen jedoch weltweit. Das Essen ist vegetarisch und die Ausgaben werden durch Spenden aus der ganzen Welt finanziert. Die Küche ist nie geschlossen und im Durchschnitt werden hier 7000 kg Mehl, 1200 kg Reis, 1300 kg Linsen und 500 kg Ghee täglich (!!!!) zu einer einfachen Mahlzeit für bis zu 100.000 Menschen am Tag bereitet. Das ergibt rund 200.000 Fladenbrote und 1,5 Tonnen Linsensuppe J. Gegessen wird am Boden und alle sitzen auf Augenhöhe beisammen – ein bedeutsamer Aspekt in der Glaubensauffassung der Sikhs. Natürlich gesellen auch wir uns dazu – immer wieder dazu aufgefordert, von vielen freundlichen Blicken.
Gekocht wird von fixen Angestellten und einigen Küchenmeistern, alle anderen Arbeiten erfolgen von unzähligen Freiwilligen. Und eben diese waschen auch die 300.000 Teller, Löffel und Schüsseln, die es braucht. Auch ich setze mich für einige Zeit zu den Frauen am Boden, schnipple Melanzani und Kartoffel und schichte Fladenbrote übereinander. Das miteinander Sprechen in dieser Atmosphäre ist schwierig, da es einfach unglaublich laut ist. Teller und Schüsseln fliegen nur so durch die Luft, es klappert wie wild an den riesigen Spülbecken und die Gesänge aus den Lautsprechern hallen innerhalb der Mauern noch stärker. Doch das macht nichts, es berührt mich einfach irgendwie, Teil dieses Prozesses sein zu dürfen. Und wie (!) wir hier ein Teil von all dem sein dürfen – es ist wirklich grandios! Wir dürfen einfach in diese Großküche reinspazieren, barfuß natürlich, das sind ja alle hier! Einfach so zwischen den riesigen Töpfen – groß wie Obelix` Badewanne – hindurch, ganz ohne Sicherheitsschuhe! Bei uns einfach nur undenkbar. Ghee bruzelt in riesigen Pfannen, die Gasbrenner pfauchen, die Löffel so groß wie Heugabeln. Aber wie soll ich es beschreiben – alles hier wirkt trotzdem geordnet, ruhig und wirklich sauber, so gut es halt möglich ist. Der Boden wird ständig mit Fließwasser gespült, riesige Bodenabzieher schieben das Wasser in Abflussrinnen, es liegt keinerlei Müll herum, alles wird von hunderten fleißigen Helfern weggeräumt, die alles für gutes Karma tun. Der Langar ist eine völlig andere Welt, eine, die es bei uns so nie geben wird. Mit all unseren Vorschriften wäre dies schier nicht machbar, wie die Quadratur des Kreises, völlig unmöglich. Irgendwie schade, weil wir dadurch so wunderbar Verbindendes auch unmöglich machen.
Ich muss es nochmal festhalten – ein ganz unglaublicher Ort der Toleranz und eine wunderbare Erfahrung.