Durchs Drinustal nach Girokaster
Einen kurzen Stop am Strand wollten wir dann doch nicht auslassen – es gibt sie wohl, die lauschigen Plätzchen irgendwo tief unten in einer meist schwer zugänglichen Bucht. Dort allerdings ist man dann fast immer alleine. Mühsal will schließlich belohnt werden – mit herrlichem Wasser, einer Sonne, die wieder mal ins Meer fällt und den Olivenbäumen im Rücken. Schon schön – man muss es so sagen!
Unser Weg führt uns von der Küste weiter nach Osten, vorbei am natürlichen Quellteich Syri i Kalter. Schon vor zwei Jahren war dies ein Ziel von uns, heuer musste sich Elise dieses Naturwunder natürlich noch von oben ansehen. Wir sind der Meinung, dieser Ausflug war`s wert!
Nachdem wir den Muzina-Pass erreicht haben, öffnet sich gleich danach ein herrlicher Blick ins Drinos-Tal, ein extrem fruchtbarer Landstrich, den Olivenhaine und in Terrassen angelegte Gemüse- und Getreidefelder dominieren. Immer wieder begegnen uns Menschen am Straßenrand, alte Frauen meinst in Schwarz gekleidet, alte Männer fast immer mit einem Stock, der sicher nicht nur zum Hüten ihrer Tiere gedacht ist, sondern einfach dazu gehört. Je weiter man sich einer Ansiedlung nähert, desto größer wird leider auch das Müllaufkommen. Dreck begleitet einen überall. Und nicht selten mittendrin ein Wohncontainer, oder nein, nicht mal das. Es mutet eher wie aneinandergestellte Metall- Holz- und Pappeteile an, die wohl eine gedeckte Schlafstatt darstellen sollen. Auch das ist Albanien – wirklich sehr arm! Mit der Privatisierung kam es zu großen politischen Versäumnissen und grundlegenden Fehlentwicklungen im landwirtschaftlichen Bereich. Agrarflächen wurden nur in so kleinen Größen privat vergeben, dass man gerade mal das Existenzminimum einer Familie sichern konnte. Über 90% aller landwirtschaftlichen Betriebe sind kleiner als zwei Hektar. Außer natürlich Geschäftsleute mit politischen Verbindungen, sie profitieren von illegalen Grundstücksgeschäften. Nach wie vor bestimmt die Klientelwirtschaft die Entwicklung auf allen Ebenen im Land. Die Arbeitslosenquote liegt bei 13%, bei Jugendlichen spricht man von bis zu 70%. Diese Zahlen sagen alles. Und nachdem nach jeder Wahl fast das gesamte Personal ausgetauscht wird, ist eine kontinuierliche Arbeit in öffentlichen Institutionen und Behörden fast unmöglich. Tja, da hab ich jetzt so den einen oder anderen Gedanken an unser schönes Österreich….
Aber wir rollen, und teilweise holpern wir, beständig weiter und erreichen die Bezirksstadt Gjirokastra. Die historische Altstadt spiegelt das städtische Gesellschaftslebens in der osmanischen Zeit deutlich wider. Eine wirklich beeindruckende Festung erhebt sich wehrhaft über der Stadt. Gjirokastra ist sicher die steilste Stadt, die wir bisher besichtigt haben. Wenn man hier in einer Biegung vom Trottoir rutscht, fällt man fast unweigerlich auf das Hausdach eine Etage tiefer. Das Leben hier hält also fit. Die engen steingepflasterten Gassen werden aber durchaus auch mit PKWs befahren, der Kupplungsverschließ muss enorm sein. Wir parken logischer Weise am Busparkplatz und nutzen die Gelegenheit unsere Füße zu vertreten. Ganz eng aneinander schmiegt sich Haus an Haus, die Dächer der alten Häuser sind mit Schieferplatten gedeckt. Vieles ist derzeit noch eingerüstet, aber seit 2005 fließt Geld von der UNESCO, und so wird allerorts renoviert. Typisch sind die vierstöckigen Wehrturmhäuser, die Einfluss und Reichtum ihrer einstigen Besitzer wiederspiegeln. Eine einzige Zurschaustellung von Macht. Grund für diese wehrhaften Häuser waren nicht zuletzt auch blutige Familienfehden im 19. Jhd. Und diese Blutrache gibt es zu meinem Entsetzten auch heute noch. Mehr als 1000 Familien in Albanien sind auch heute noch in Blutrache verstrickt. Sie folgen dem mittelalterlichen „Kanun“, der wieder an Macht in diesem Land gewinnt. Oft sind es aus unserer Sicht völlige Banalitäten, die eine Person dazu bringen, sein Gegenüber zu töten. Der Kanun basiert auf einem strengen Regelwerk zum Begriff der Ehre. Die verletzte Ehre lässt sich nur „durch Blutvergießen“ wiederherstellen. Das wirklich tragische an der Sache ist, dass es nie aufhört, denn auch das Blutvergießen muss wieder gerächt werden. Es gibt eigene Streitschlichter, die dem Ganzen Einhalt zu gebieten versuchen, meist jedoch ohne Erfolg. Und dies hat zur Folge, dass es unzählige Kinder und Jugendliche im Norden Albaniens gibt, die ihr Haus nie verlassen können, nie zur Schule gehen können, nie mit ihren Freunden öffentlich spielen können – immer besteht die Gefahr auf offener Straße getötet zu werden. Unter Enver Hoxha gab es zumindest diese Praktiken kaum, da sie verboten waren. Doch in dem Machtvakuum danach gewann der Kanun wieder an Bedeutung. Für uns einfach nur unvorstellbar!