Auf Apollons Spuren

 

Die von leuchtenden Ginsterbüschen gesäumte Küstenstraße ist gut ausgebaut und gibt beeindruckende Blicke in wunderschöne Buchten frei – um zu Baden ist es allerdings noch zu kalt. Immer näher rücken die gewaltigen Abhänge des Parnass-Massives und von den Berggipfeln leuchten noch ganz deutlich Schneefelder des vorangegangenen Kälteeinbruchs herab. Leider begleitet uns mittlerweile leichter Regen. Wir nähern uns langsam dem wohl bekanntesten Heiligtum Griechenlands an, das einst sogar als der „Mittelpunkt der Welt“ verehrt wurde. Hoch über einer fast 200 m tiefen Schlucht schmiegt sich Delphi an den Berghang. Und eben hier wollen wir auch unseren Begleiter für die nächsten Tage treffen. Es war auch gar nicht schwer, Platon zu finden. Schon von weit her hören wir ihn am Marktplatz philosophieren.  Reden schwingend deutet er uns, näher zu kommen. „Ich glaube, einer der wenigen Athener - wenn nicht der einzige - zu sein, der sich um die wahre Staatskunst bemüht, und der einzige unter meinen Zeitgenossen, der für das Staatswohl tätig ist..“ hören wir ihn schon aus der Ferne, „denn ich richte meine Worte nicht danach, dass sie Gefallen finden, sondern ich bezwecke damit das Gute“.

 

Oh ja, guter Platon, dein Wort in Gottes Ohr! Solche Männer braucht das Land. Wir haben Wörter wie Politik, Demokratie, Ökonomie, Methode, ja auch Theorie und Logik, alle von euch übernommen, und leider die marode Gesinnung der meisten Politiker gleich dazu. Da scheint sich die Geschichte soeben zu wiederholen.

 

Daneben bin ich ganz begeistert von Platons Äußerem, eben typisch griechisch edel. Weitaus gefälliger, als jenes seines Lehrers Sokrates. Von dem man ja behauptet, er wäre klein und dick gewesen, hätte Glupschaugen und eine Himmelfahrtsnase gehabt. Ganz anders Platon – schmeichle ich ihm gleich mit einem Kompliment. Respektvoll wie er ist, nimmt er seinen Lehrer aber als gleich in Schutz, der über seine eingedrückte Nase zu sagen pflegte „…so wäre sie zumindest nicht im Weg“. Nun gut, der Gesprächsballon für den Beginn wäre also gestartet.

 

Wir nutzen diesen ersten trüben Tag, um die Umgebung zu sondieren und finden gleich auch einen ganz wunderbaren Standplatz für Styros. Ganz alleine, mitten in einem kleinen Wäldchen mit kleiner Zufahrtsstraße und herrlichem Blick über das ganze Tal bis hinunter ans Meer. Einfach perfekt! Der Ort Delphi hat zu seinen Glanzzeiten angeblich bis zu 12.000 Touristen am Tag gesehen, heute sollen es nur noch an die 2000/Tag sein, erzählt uns ein gesprächiger Grieche, der vorbeispaziert. In der Ebene unter uns breitet sich der angeblich größte Olivenhain Griechenlands aus, und auch sonst beeindruckt uns vor allem die reizvolle Umgebung dieses antiken Ortes.

 

Platon klärt uns auf, dass die politische Bedeutung Delphis enorm war. Hier akkumulierten sich die Informationen aus der gesamten antiken Welt. Das Heiligtum entschied über Krieg und Frieden, über Leben und Tod. „Was ist an diesem Ort eigentlich heilig?“ frage ich Platon. „Apollon selbst ist von seiner Heimatinsel in Gestalt eines Delfins hergeschwommen, um das Ungeheuer Python zu erschlagen. Durch dessen Tod erlangte Apollon dessen seherische Fähigkeiten und in weiterer Folge wurden zu seinen Ehren die Phythischen Spiele gefeiert“, klärt er mich auf. „Daher also der Name: Delfin – Delphi“, konstatiere ich stolz. Und schon ward ein Orakel entstanden, und funktionierte angeblich unparteiische über acht Jahrhunderte hinweg. „Unparteiisch??? Dass ich nicht lache“, schallt Platon. „Die Orakelbefrager stellten ihre Fragen den Priestern von Delphi. Diese gaben sie weiter an Pythia, Apollos eigentliche Priesterin. Ja, und diese gute Dame saß auf einem Schemel über einer Erdspalte, aus der giftige Dämpfe strömten, die sie in Trance versetzten… versteht ihr?“ Auch mir wird schon ganz schwindlig, alleine bei dieser Vorstellung. „Und davon wohl meist ziemlich verwirrt, schwafelte Pythia unverständliches Zeug, welches die Priester von Delphi dann erst an die Fragesteller wieder weiter gaben. Dreimal dürft ihr raten, wer da die Drahtzieher in der Politik waren“, zeigt sich Platon durchaus aufgebracht.

 

Jetzt muss ich wirklich schmunzeln, die Prallelen zur Gegenwart sind einfach zu deutlich. Jemand sagt etwas, ein anderer interpretiert es, der nächste zitiert denselben und die Presse druckt, was der Leser vermeintlich lesen möchte. Als Kinder spielten wir doch auch so ein Spiel, in dem wir jemandem ganz rasch was ins Ohr flüsterten  und der musste es dann weitersagen…. usw. usw. Nur das wir am Ende dabei richtigen Spaß hatten. Also alles fake news, oder nicht?

 

„Nun freilich starren Sinnes zu behaupten, dass das, was ich gesprochen habe, auch unbedingte Wahrheit sei, das schickt sich nicht für einen, der zu denken pflegt“, weiß Platon noch zu bemerken. Und wie Recht er hat.

 

Geimpft mit allerhand Wissen und Weisheiten, der Kopf schon dem Rauchen nahe,  starten wir am nächsten Tag früh morgens durch die Ausgrabungsstätte, Gott Apollo unsere Ehre zu erweisen. Es ist ein wunderbarer  frischer Morgen. Es  hat nur 7 Grad, dafür ist die Luft aber völlig klar. Die antiken Stätten öffnen um 7.30 Uhr und um 8.00 sind wir auch schon drinnen. Fast menschenleer gehören uns die geschichtsträchtigen Steine und so wandeln wir entlang der sogenannten Heiligen Straße die steilen Windungen hinauf zum Apollon-Tempel. Vorbei am Römischen Markt, an den Schatzhäusern der einstigen Stadtstaaten und am Großen Altar. Die schöne Lage des noch in ziemlich gutem Zustand erhaltenen Theaters begeistert auch heute noch. Weiter führt uns ein Weg den Berg hinauf zum Stadion, das den höchsten Punkt der Anlage markiert. Das Heiligtum der Athena liegt einige Meter weiter östlich unterhalb der Straße. Als berühmtestes Bauwerk dort besticht der Tholos, der Marmorrundbau, der fast alle Postkarten ziert. Ein wirklich sehr gelungener Ausflug in die Antike.

 

Eine kleine Motorradtour in den Nachbarort bringt uns noch die jüngere Geschichte ein Stück näher. In Amfissa gedenken die Bewohner der Revolution gegen die Osmanen und ziehen mit ihren prächtigsten Trachten, sowie mit Säbel und Pistolen durch die Stadt.

 

Abends bleibt uns nur noch der Blick hinunter ins Pleistos-Tal und eine weitere Lehr- und Plauderstunde mit Platon. „Glücklich sind die Menschen, wenn sie haben, was gut für sie ist“ – wir haben gerade alles und noch mehr davon – und sind sehr glücklich!