Friedvolle Stille
Die Tür zum Innenraum ist so klein, dass ich mich ganz tief bücken muss. Vielleicht ist sie 1,50 hoch, vielleicht sogar noch weniger. Nur spärliches Licht bahnt sich seinen Weg durch die winzigen Fensterluken ins Innere. Vom Ruß der Kerzen sind einige Wände tief geschwärzt. Ikonenbilder zieren die noch weiß verbliebenen Flächen und einige Wände sind direkt mit Heiligenbildern bemalt. Erstaunlich, wie gut manche Farben erhalten geblieben sind. Und über einem kleinen Altar brennt das ewige Licht in einer Öllampe. Es ist Ostersonntag hier in Griechenland und in der Nacht von gestern auf heute besuchten gläubige Griechen die heilige Messe. Viele Kerzen brennen noch und zeugen vom Besuch während dieser feierlichen Stunden.
Es gibt hunderte dieser kleinen Kirchen und Kapellen hier auf der Mani. Man erkennt die Renovierungsbestrebungen, aber viele Bauwerke haben ihre beste Zeit leider schon hinter sich. Kuppeln und Mauern sind eingestürzt, nur Teile der Fassaden sind noch intakt. Aber all diese kleinen Zeitzeugen haben irgendwie ihren Reiz – verfallen oder intakt. Und meistens schließt sich an das kleine Gotteshaus eine letzte Ruhestätte an.
Ich sitze auf einem Stein inmitten der massiven Gräber. Keine Bepflanzung wie bei uns, nur nackter Marmor oder Stein umrahmt das Totenbett. Heute, am Ostersonntag, stehen fast auf jedem Grab frische Blumen. Ganz einfache, so wie eben von der Wiese frisch gepflückt. Meist sind auf der Rückseite der Grabsteine Fotos der Verstorbenen angebracht. Ich sehe in unzählige Gesichter, die einst die Mani, dieses karge Land beseelt haben. Sie haben all die alten Steinhäuser errichtet, haben diese Trutzburgen bewohnt, vielleicht Familienfehden ausgestanden und dieses herbe Land bewirtschaftet. Den Gesichtern früheren Generationen ist die erdrückende Schwere ihrer Existenz anzusehen. Dieser Landstrich – er prägt. Die wenigen jüngeren Fotos muten vielleicht etwas sanfter an, wenn auch immer noch ernst. Wohl aufgrund des Bevölkerungs-Exodus der letzten Jahre erscheinen mir all diese Friedhöfe als Stätten der Vergangenheit, eigentlich wie fast vergessen.
Hier, an diesem Ort, hat der Tod also über das Leben gesiegt. Dennoch ist es unendlich friedlich in diesem Moment, heute am Ostersonntag, und ich genieße es für diesen Augenblick hier verweilen zu dürfen. In der Ferne gleitet mein Blick über das türkisblaue Meer und ich meine fast die Brandung hören zu können. Aber nein, eigentlich geht das gar nicht. Vielleicht trägt auch nur der Wind einen leisen Totengesang zu mir. Früher besangen die Manioten ihre Verstorbenen im Kreise der Familie. Diese traditionellen Lieder, die Myrologia, waren fester Bestandteil der maniotischen Kultur. Und vielleicht haben ja gerade sie noch auf diesen alten Friedhöfen überlebt …..